Der in Berlin lebende Künstler Henrik Olesen (geb. 1967 in Esbjerg, DK) hat sich schon sehr früh damit beschäftigt, dominante Diskurse zu zerlegen, die unsere Wahrnehmung von Identität, Körper und Sexualität prägen. Im Rahmen des Formats Im Kontext der Sammlung wurde er eingeladen, einen Dialog mit der Sammlung des Kunstmuseums aufzunehmen. Olesens Wahl fiel auf Isidore Isou, der dieses Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte.
Präzise Gegenwartskunst trifft auf radikales Sprachdenken
- Publiziert am 23. Juni 2025
Henrik Olesen
1967 in Esbjerg, Dänemark, lebt in Berlin.
In seiner Arbeit diskutiert Henrik Olesen Fragen nach Identität, Sprache, Körpern und deren Konstruktion zur Beschreibung von Machtverhältnissen und sozialen Normen. Jüngste Einzelausstellungen fanden u. a. in Den Frie Udstilling, Kopenhagen (2025); im Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid (2019); CCA Watts Institute for Contemporary Art, San Francisco (2017); Wolfgang-Hahn-Preis im Museum Ludwig, Köln (2012) und im Museum of Modern Art – Projekte 94, New York (2011) statt. Darüber hinaus waren seine Arbeiten u. a. in folgenden Gruppenausstellungen zu sehen: 32. und 34. Biennale de São Paulo (2016, 2018); Punta della Dogana, Venedig (2015); 55. Biennale Arte, Venedig (2013); New Museum, New York (2012); Generali Foundation, Wien (2012) und Pinakothek der Moderne, München (2012).
Isidore Isou
1925 in Botoşani, Rumänien – 2007 in Paris, Frankreich
Isidore Isou, 1925 als Ion-Isidor Goldstein in Rumänien geboren, zog nach Kriegsende nach Paris, wo er im Januar 1946 die literarisch-künstlerische Bewegung des Lettrismus begründete und deren bedeutendster Theoretiker wurde. Die Lettristen sahen die Sprache als erschöpft an, den Worten war nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges nicht mehr zu trauen, weshalb sie neue Formen der Poesie suchten. Isou übertrug seine poetologischen Prinzipien bald auch auf Musik, Bildende Kunst und den Film und war selbst als Autor, Philosoph und Künstler tätig. Ausgangspunkt war die Zerlegung der Sprache in ihre kleinsten Bestandteile. Zeichen, Buchstaben und Bilder wurden neu kombiniert, um lautmalerische und visuelle Gedichte und Kunstwerke zu schaffen, die sich dem herkömmlichen Sprachgebrauch und seiner Sinnhaftigkeit entziehen. Die Werke von Isou gelangten als Schenkungen von Robert Altmann (1915–2017) in die Sammlung des Museums. Altmann war eine prägende Figur der liechtensteinischen Kulturszene – als Verleger, Künstler, Sammler und engagierter Förderer der Avantgarde.
Festgeschriebene Kategorisierungen aufbrechen
Isidore Isou (1925 in Botoșani, RO – 2007 in Paris, FR) gilt als Begründer der Lettrismus-Bewegung, die den Buchstaben (frz. «lettre») als grundlegendes, unverfälschtes und kleinstes Element des Sprachlichen ins Zentrum ihres Schaffens stellte. Beharrlich zeigte er auf, dass Sprache, Kategorien und Kultur nicht in starre Raster eingebettet sind, sondern auf veränderbaren Prozessen beruhen. Beide Künstler verbindet das Interesse, festgeschriebene Kategorisierungen in unserem Alltag aufzubrechen und eine «Kultur der Zwischenräume» aufzuzeigen – sei es im Umgang mit Sprache, Körperbildern oder kulturellen Ordnungssystemen. Eigens für seine Ausstellung im Kunstmuseum Liechtenstein hat Olesen mehr als zehn neue Werke realisiert, in denen er sich mit Isou auseinandersetzt. Diese werden mit bereits bestehenden Malereien, seiner Serie der Boxen und mit den sechs Sammlungswerken von Isou im Dialog gezeigt. Die Ausstellung ist voller Verweise und Anspielungen auf Isou und die Lettristen. Bereits der Titel – Demons Are Tearing Me Apart – bezieht sich auf die pseudo-erotische Erzählung «Les Démons me déchirent!», die Isou 1969 veröffentlichte. Diese Referenz bleibt bewusst abstrakt und unterstreicht die ambivalente Haltung, mit der Olesen dem durchaus kontroversen Künstler begegnet – einer Figur, die sich gerne als «Allroundgenie» inszeniert hatte.
Isidore Isou | La Vérité | 1961
Isidore Isou | Double réseau | 1961
Queere –insbesondere schwule – Positionen
Für die Ausstellung setzt sich Olesen mit zentralen Motiven der Lettristen auseinander – insbesondere mit Sprache und Stimme. So tauchen in seinen neuen Werken wiederholt Sprechblasen und Zungen auf. Auch Formate und Farbwahl lettristischer Werke, etwa von Isous, greift er auf und integriert sie in seine eigene Bildsprache. Olesen nimmt für die Installation seiner Werke Isou als Ausgangspunkt und tritt mit ihm in einen Dialog – sowohl auf formaler als auch auf inhaltlicher Ebene. Henrik Olesen beschäftigt sich in seiner künstlerischen Recherche intensiv mit der Kunstgeschichtsschreibung. Durch die Aneignung von Bild- und Textquellen erweitert er diese um queere – insbesondere schwule – Positionen, die durch gesellschaftliche Mechanismen zum Teil bis heute marginalisiert, kriminalisiert oder unsichtbar gemacht werden. Dabei spielt der Körper bzw. die Körperlichkeit eine grosse Rolle. Die daraus resultierenden Verbindungen und Referenzen verarbeitet Olesen in seinen Werken, die sich seit Mitte der 1990er-Jahre aus einer Mischung von Collage, Skulptur und Rauminterventionen zusammensetzen.
Organ Paintings
Ein zentraler Werkzyklus von Henrik Olesen sind die «Organ Paintings», in denen sich seine Auseinandersetzung mit Körperlichkeit besonders verdichtet. Auf Leinwand oder Hartfaserplatten schafft er mit dicken Farbschichten, zähflüssigem Lack und abgekratzten Oberflächen plastisch-organische Formen, die an innere Organe erinnern. Häufig ergänzt er die Bilder durch handgeschriebene Texte auf Klebeband oder besprühte Steckdosen. In seinen
Gemälden plädiert er für ein neues Körperverständnis, das sich kulturellen Normen entzieht und
in ständiger Veränderung befindet.
Boxen
Seit 2018 entwickelt Henrik Olesen eine Serie von skulpturalen Boxen, die wie Displays an der Wand montiert sind. Bemalt, mit Texten, Bildern und Fotografien versehen, eröffnen sie vielfältige kunsthistorische Referenzen. Oft widmet Olesen sie Personen (z. B. Paul Thek) oder Werken, die gesellschaftliche Konventionen herausforderten und erst spät Anerkennung fanden. Themen wie Sexualität, Körper, Konsum und Vergänglichkeit ziehen sich dabei durch die Arbeiten. Im Kunstlichtsaal zeigt das Kunstmuseum Liechtenstein Ausstellungen, die neue Perspektiven auf die Sammlung eröffnen und gleichzeitig versuchen, die traditionellen Erzählungen eines Museums in Frage zu stellen. Henrik Olesen und Isidore Isou sind jeweils mit mehreren Arbeiten in der Sammlung vertreten.