Anorexie hat in den vergangenen Coronajahren stark zugenommen. Obwohl hoch aktuell, ist das öffentliche Thematisieren dieser Krankheit jedoch ein Tabu. Die Ausstellung zeigt erstmals die dringlichen Selbstporträts der norwegischen Fotografin Lene Marie Fossen (1986–2019) ausserhalb ihres Landes. Die Ausstellung will Magersucht weder beschönigen noch stigmatisieren. Weder will sie der Krankheit eine Bühne geben noch soll sie abschrecken. Sie soll die Fotografin Lene Marie Fossen würdigen!
Museum im Lagerhaus | Lene Marie Fossen – Human
- Publiziert am 26. August 2022
Über die Person
Lene Marie Fossen lehnt den linearen Verlauf der Zeit ab, der sie in die Pubertät zwingt, und hört im Alter von zehn Jahren auf zu essen. Für den Rest ihres Lebens kämpft sie mit der Magersucht. Autodidaktisch findet sie zur Fotografie als ein Medium, mit dem sie die Zeit einzufrieren sucht. Sie entscheidet sich, offen mit ihrer Krankheit umzugehen und ihre Selbstporträts öffentlich zu zeigen.
Self Portrait
2019 entsteht der Dokumentarfilm «Self Portrait» (Selvportrett, dt: Lene Marie oder das wahre Gesicht der Anorexie, Speranza film), ausgestrahlt auf ARTE 2020 und BR 2021 u.a., der verschiedene Preise erhalten hat und in Norwegen für eine Oskar-Nominierung vorgeschlagen wurde (Regie: Margreth Olin, Katja Høgset, Espen Wallin). Der Film macht das Werk von Lene Marie Fossen schlagartig bekannt. Doch ihre ergreifenden wie verstörenden Fotografien auszustellen, wagt kaum jemand. Flucht, Krankheit, Leid, Fragen des Menschlichen, nach dem Sein und unserem Selbst-Verständnis sind in der gegenwärtigen internationalen Krisenzeit brennender denn je. Lene Marie Fossens Fotografien führen uns in ihrer grenzüberschreitenden Radikalität ganz nah an unsere existenzielle Verortung heran. Neben den Selbstporträts sind auch Porträtaufnahmen einer alten Frau und von 2015 auf Chios gestrandeten Flüchtlingskindern in die Ausstellung integriert. Sie betonen einmal mehr Lene Marie Fossens existentielle Fragen des Seins und menschlichen Leids.
Krankheitserfahrung und kreatives Potential
Das Museum im Lagerhaus widmet sich der Kunst aus Grenzbereichen und setzt sich ein für ein grenzüberschreitendes Kunstverständnis und für Diversität im Kunstbetrieb. Künstlerische Positionen wie die Selbstporträts von Lene Marie Fossen sind hierbei von besonderer Bedeutung. Das Museum im Lagerhaus negiert Krankheit nicht, sondern lenkt die Wahrnehmung auf das kreative Potential, mit dem Menschen Lebens- und Krankheitserfahrungen im künstlerischen Schaffen transformieren. Letztlich steht nicht Krankheit im Zentrum, sondern es zählt das Werk, das aus der Dringlichkeit des Lebens entsteht. Diese andere Sicht auf Kunst vermittelt aktuell die documenta fifteen, ihr folgt ebenso die Ausstellung «Lene Marie Fossen – Human».