Die Ausstellung umfasst Zeichnung und Malerei, Fotografie, Video und Installation. Oft steht der weibliche Körper im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die Werke berühren Fragen der Identifikation und setzen sich mit Konditionierung und gesellschaftlichem Urteil auseinander. Der voyeuristische Blick wird in einigen Werken provoziert, in anderen abgelegt. Manche zeigen Haut, während andere ein Gefühl von Intimität in Abwesenheit der menschlichen Figur anklingen lassen.
Kunst(Zeug)Haus Rapperswil | Voyage – Voyeur
- Publiziert am 6. Mai 2021
Sonja Lackner: Körperbewusstsein
Als Gegenpol zu einem überwiegend vom Verstand geprägten Leben versteht Sonja Lackner ihre persönliche Reise zu einem erweiterten Körperbewusstsein. Auf diesem Weg manifestieren sich Träume und Illusionen ebenso wie kulturell geprägte Vorstellungen, die die Emotionalität als ein unbekanntes, ja verbotenes Gebiet einstufen. Mit ihren Federinstallationen in flauschigem Rosa bedient sie sich eines geläufigen erotischen Vokabulars. Die in Kufstein aufgewachsene und seit 2012 in der Schweiz lebende Sonja Lackner geht für ihre vorliegenden Arbeiten vom eigenen Körper aus. Die Haut als Vermittlerin zwischen Aussen und Innen provoziert in der Vergrösserung eine zwiespältige Reaktion. Hingegen sprechen ihre Videos mit Titeln wie Abundance, Flow of Life oder Lightness von einer genussvollen Leichtigkeit.
Clio Newton: Junge Frauen
Selbstbewusst und direkt ist der Blick der Frauen in Clio Newtons Bildern. Die Porträts sind fotorealistisch präzise Kohlezeichnungen, ohne fotografische Vorlage auf riesigen Formaten realisiert. Die jungen Frauen scheinen ihren Platz in der Gesellschaft zu suchen, ohne überlieferte Erwartungen erfüllen zu müssen. Die monumentale Darstellung kontrastiert mit der feinfühlig erfassten Persönlichkeit. Diese wirkt präsent und dennoch verborgen.
MARCK: Nackte Menschen
Als einziger Mann in der Ausstellung hat der Videokünstler MARCK nackte Menschen und insbesondere nackte Frauen schon immer zum Sujet seiner Arbeit gemacht. Oft stellt das Bildschirmformat einen Raum dar, der für die gefilmte Person zu eng ist: Eine Frau schwimmt in einem Pool, der kürzer ist als sie selbst; Eine Kiste, die sich dreht und dadurch die hinter der halbtransparenten Glasscheibe kauernde eingeschlossene Frau zwingt, der Bewegung zu folgen. Neben der offensichtlich voyeuristischen Komponente spiegeln die Werke gesellschaftliche Prozesse – und vielleicht auch den Wunsch des Künstlers selbst, auszubrechen.
Janet Mueller: Zeichnungen
Eine andere Art von Ausbruch wirkt in Janet Muellers Zeichnungen: Sie streifen den urteilenden Blick von aussen ab und begeben sich auf die Suche nach einer persönlichen Weiblichkeit. Unter dem Titel Körperlandschaften legt Janet Mueller minimalistische Spuren in die Intimität von Frauen. Ihre Zeichnungen in Tusche und Graphitstift umreissen Körperhaltungen und Gesten, deuten Emotionen an und verweisen auf die exponierte Position von Frauen in der Gesellschaft. Im fragil Poetischen liegt die Kraft Ihrer Arbeiten.
Annatina Graf: Filter der Erinnerung
Von einer selbstverständlichen Sinnlichkeit ist die Malerei Annatina Grafs. Unscharf, fragmentarisch und stellenweise vom Licht aufgelöst erscheinen die alltäglichen Szenen auf ihren Bildern. Somit schafft die in Solothurn lebende Bündnerin auf der Bildoberfläche einen Eindruck davon, wie unsere Wahrnehmung funktioniert: Vielschichtig, selektiv und durch den Filter der Erinnerung. Auf Fotografien aus dem privaten Umfeld basierend, zeigen ihre Werke Momente aus dem Familienleben, Intimität, Geborgenheit. Die Kostbarkeit und Vergänglichkeit des sinnlichen Lebens kommt dabei in einer speziellen Farbpalette zum Ausdruck. Die Bilder der neuen Serie Nightlife sind in Hell-Dunkel gehalten, jedoch in ein warmes Ocker getaucht, das den Szenen eine emotionale Qualität verleiht.
Helena Wyss-Scheffler: Aussen und Innen
Während manche Werke Haut zeigen, tragen andere ganz ohne die menschliche Figur zum Ausstellungsthema bei. Helena Wyss-Scheffler löst mit ihrer Malerei ein Gefühl von Intimität aus, indem sie Innenräume darstellt. Sie lässt Details wie Möbel, Fenster oder Kleidungsstücke gegenständlich hervortreten und nutzt auch architektonische Elemente, um ein Raumgefühl zu schaffen. Gleichzeitig löst sie diese Orientierung mit verschwimmenden Stellen wieder auf. Wie eine Haut bilden die durchscheinenden, spiegelnden oder von Mustern bedeckten Flächen eine Transparenz zwischen Aussen und Innen, Privat und Öffentlich, zwischen Gegenwart und Erinnerung. Eine besondere Funktion kommt dabei den Textilien zu: Stoff als Hülle, Schmuck oder Schutz bringt unser Körperbewusstsein zum Ausdruck sowie unser persönlich und kulturell geprägtes Verständnis von Sinnlichkeit.
Text: Judith Annaheim, Guido Baumgartner