Neue technische Möglichkeiten boten auch immer neue ästhetische und inhaltliche Möglichkeiten, welche seit den späten 1960er Jahren von den Künstler*innen intensiv genutzt wurden. Gerade weil diese sich rasch wandelnde Technologie nahe am Alltag ist und die schnellen und widersprüchlichen Entwicklungen der Jetztzeit abbildet, sind ihre Botschaften besonders aktuell. Die neue Ausstellung im Kunstmuseum St. Gallen macht dies anhand von herausragenden künstlerischen Arbeiten sichtbar.
Kunstmuseum St.Gallen | Welt am Draht
Beteiligte Kunstschaffende: Karin Karinna Bühler, Silvie & Chérif Defraoui, Rainer Werner Fassbinder, Georg Gatsas, Andy Guhl, Alexander Hahn, Mona Hatoum, Peter Liechti, MANON, Matthew McCaslin, Norbert Möslang, Jason Rhoades, Pipilotti Rist, Keith Sonnier, Aleksandra Signer, Roman Signer
Kurator: Roland Wäspe
Fassbinders visionäres Werk
Der Film «Welt am Draht» (1973) gilt mit seiner Handlung als visionärer Vorreiterfilm zur Matrix-Trilogie, als seiner Zeit voraus. Mit der Erzählung nimmt Fassbilder eine Diskussion vorweg, die erst später in vollem Umfang ausdiskutiert werden sollte. Er fragt nach grundlegenden philosophischen Konzepten des Seins, der Realitätswahrnehmung und der Videoüberwachung. Fassbinder fragt nach dem Objektstatus von überwachten Subjekten und skizziert den Albtraum, als Individuum mit dem Glauben an seine eigene Existenz lediglich einem Trugbild zum Opfer zu fallen.
Parallelen zum Lebensgefühl in der Zeit des Lockdowns
Kunstschaffende wie Silvie und Chérif Defraoui, Alexander Hahn, Aleksandra und Roman Signer, Pipilotti Rist oder Matthew McCaslin haben kontinuierlich an der Entwicklung der Kunst mit den neuen Medien und ihrer betont zeitgenössischen Metaphorik gearbeitet. Diese Künstlerinnen und Künstler sind mit Hauptwerken in der Sammlung des Kunstmuseums vertreten und eröffnen in dieser Ausstellung einen Diskurs, der einem visionären frühen Fernsehfilm von Rainer Werner Fassbinder entliehen ist, den dieser 1973 nach dem Science-Fiction-Roman Simulacron-3 von Daniel F. Galouye (1920–1976) drehte. Die Welt ist nicht, was sie scheint, und die Berichte über sie erst recht nicht, nur die Reflexion lässt die Dinge klarer werden. Manons zentrale Fotoserie La dame au crâne rasé, 1977 in Paris entstanden, verdichtet die Atmosphäre der Zeit, das individuelle Körpergefühl und die Vereinzelung in der anonymen Grossstadt in einzigartiger Weise. Die Parallelen zum Lebensgefühl in der Zeit des Lockdowns von 2020 sind offensichtlich und die daraus sich ergebenden Verwerfungen unübersichtlicher denn je.