Die Landschaft, eines der komplexesten Themen in der Geschichte der Kunst, stellt im Werk von Olaf Nicolai ein Leitmotiv dar. Für das Kunstmuseum St.Gallen hat er eine begehbare Welt konzipiert, die ebenso Wüste wie Mondlandschaft sein könnte – darauf spielt das titelgebende Zitat an, ein Satz, den der US-amerikanische Astronaut Charles «Pete» Conrad Jr. am 18. November 1969 während der Apollo 12 Mondmission äusserte.
Kunstmuseum St.Gallen | Lokremise | Olaf Nicolai | That's a God-Forsaken Place; But It's Beautiful, Isn't It?
«Ich will, dass wir unsere Sehgewohnheiten erst mal kennenlernen». Nicolai lässt im Kunstmuseum St. Gallen eine karge, utopische Landschaft entstehen.
Wüste oder Mondlandschaft?
Zentral für die Arbeit sind die Verschiebungen im Verhältnis von Körper, Raum und Bewegung, sowie vor allem auch die auf diese Weise evozierten Imaginationen. Olaf Nicolais (*1962 Halle an der Saale) Arbeiten waren in zahlreichen internationalen Ausstellungen von der documenta bis zur Biennale di Venezia präsent. Mit enzyklopädischer Aufmerksamkeit umkreist Olaf Nicolai verschiedene wissenschaftliche und literarische Felder, benutzt historische, politische und philosophische Elemente und entwickelt Werke in einer technisch und stilistisch neuartigen Sprache. Der Ausgangspunkt der Schau in St.Gallen ist die scheinbar triviale Tatsache, dass wir in unserer Wahrnehmung nicht einfach mit Natur konfrontiert sind, sondern unsere Wahrnehmung immer schon durch medialisierte Beziehungen vermittelt ist. Olaf Nicolai benutzt dabei historische, politische und philosophische Elemente und entwickelt Werke in einer technisch und stilistisch neuartigen Sprache.
20 Tonnen Sand im Ausstellungsraum
Nicolais Installation in der Lokremise besteht vor allem aus Sand, einem unverfestigten Sediment also, das sich unter wechselnden klimatischen Bedingungen zu einer Landschaft in Bewegung formiert. Dabei kommen geologische ebenso wie geopolitische Bezüge ins Spiel; zu denken ist ausserdem an Michel Foucaults Begriff der Heterotopie: Foucault hat den Begriff in den späten 1960er Jahren lanciert, um damit transitorische Orte an den Rändern der Gesellschaft zu beschreiben, in denen die gesellschaftliche Ordnung sowohl repräsentiert als auch bestritten und unterminiert wird.
«Zabriskie Point»
Nicolais karge Landschaft rückt damit als ein mehrdeutiger Ort in den Blick, der im Kontext des aktuellen gesellschaftlichen Wandels zu verstehen ist und zugleich das Imaginationspotential des Betrachters in Gang setzt. Das Entree zur Ausstellung bildet die Arbeit «Zabriskie Point», eine fotografische Serie, die mit scharfem Blitzlicht bei Nacht am gleichnamigen Ort im US-amerikanischen Death Valley aufgenommen wurde. Die Fotos dokumentieren einen nächtlichen, fast einstündigen Spaziergang durch jene Landschaft, in der Michelangelo Antonionis gleichnamiger Film von 1970 utopische Szenen freier Liebe wie Traumsequenzen inszeniert.
Meteorit zum Anfassen
Wenn die Besucher*innen ihren Spaziergang durch die Landschaft in der Lokremise beginnen, können sie einen handgrossen Meteoriten an sich nehmen. Es ist dieses kleine extra-terrestrische Objekt, das in «Visitor, be my guest» – so der Titel der Arbeit – die Relationen zu Umwelt und Umgebung in eine andere Perspektive rückt. Ein weiteres Element der Installation bilden bisher unpublizierte Texte des Kaliforniers Simeon Wade, der im Juni 1975 zusammen mit Michel Foucault das Death Valley besuchte. Passagen aus Texten von Wade über diesen Aufenthalt, u.a. ein Interview mit Foucault, stehen im Zusammenhang mit einer besonderen Erfahrung: Foucault nahm zusammen mit Wade erstmalig LSD zu sich, und zwar an eben dem symbolträchtigen «Zabriskie Point».
Optisches Instrument
Eine Fortsetzung findet Nicolais Ausstellung im Kunstmuseum St.Gallen. Tropfenförmige Objekte aus durchsichtigem Glas, vereinzelt auch in der Lokremise zu finden, sind hier auf dem Boden verschiedener Ausstellungsräume verteilt. Als optisches Instrument, das den umgebenden Raum in einem einzigen Punkt konzentriert und bündelt, eröffnen die Glastropfen ein reflexives Vexierspiel über das wechselseitige Verhältnis von Vereinzelung und Zugehörigkeit, von Nähe und Distanz. Auf subtile Weise verklammert die Arbeit «Echo» die Koordinaten von Raum und Landschaft mit der Person – sowohl der Besucher*in als auch dem Künstler, denn das Gesamtvolumen aller Glastropfen entspricht dem Körpervolumen Nicolais.
St.Gallen, Bielefeld und Wien
Die Schau «That’s a God-forsaken place; but it’s beautiful, isn’t it?» in der Kunstzone der Lokremise in St.Gallen läuft parallel mit zwei weiteren Ausstellungen Olaf Nicolais in der Kunsthalle Bielefeld (15. Juni bis 9.September 2018) und der Kunsthalle Wien (13. Juli bis 7.Oktober 2018). Gemeinsam geben die drei Ausstellungen eine Übersicht über das facettenreiche Werk des Künstlers und spiegeln seine interdisziplinären Konzepte der letzten zwanzig Jahre wider. In Bielefeld rückt die Architektur der Kunsthalle von Philipp Johnson in den Mittelpunkt der Schau. Wie auch in St.Gallen geht es hier um Nähe und Distanz, Einschluss und Ausschluss. In der Kunsthalle Wien stellt Nicolai Fragen der «Methode» im Zentrum – einer Praxis, die nicht nur seine künstlerische Arbeitsweise bestimmt, sondern die zugleich auch selbst Werk-Charakter annimmt.
Während alle drei Ausstellungen unterschiedliche Facetten von Nicolais Schaffen untersuchen und so die interdisziplinären Konzepte des Künstlers der vergangenen zwei Dekaden reflektieren, versammelt die Präsentation in St.Gallen sowohl bestehende als auch neue Arbeiten im Sinne einer künstlerischen Werkentwicklung in einem ortspezifischen Setting.