Zwischen Realität und Fiktion schwankend, tauchen scheiternde Helden, grossmütige Forscher und schlaksige Tennisspieler in langen Hotelfluren auf. Seine Storys erzählt Van de Velde mittels grossformatiger Kohlezeichnungen, dreidimensionaler Kartonwelten, Filmen, Fotografien, Farbstiftzeichnungen und Keramik. Werke, die in seinem Atelier entstehen aber sich keiner linearen Erzählung verpflichtet fühlen.
Kunstmuseum Luzern | Rinus Van de Velde | I’d rather stay at home, ...
Der belgische Künstler Rinus Van de Velde (*1983) erzählt fiktive autobiografische Geschichten.
Erst auf den zweiten Blick
Der Kern seiner Präsentation bilden die Videos «The Villagers» (2019–2020) und «La Ruta Natural» (2019–2021). Der erste erzählt Geschichten verschiedener Protagonisten, die durch ein Bergdorf und das Regenwetter verbunden sind: Ein Abenteurer brät im Wald sein Spannferkel, ein anderer ist im Nirgendwo mit dem Auto unterwegs, während sich der eine Künstler ein Hotelzimmer zu eigen macht und der andere kopfüber im Atelier malt. «La Ruta Natural» («Naturpfad») ist der zweite Film von Rinus Van de Velde. Der Titel ist ein Palindrom, eine Folge von Buchstaben, die vor- und rückwärts gelesen (den gleichen) Sinn ergibt. Im Video verfolgt der Held scheinbar einen Plan, der darin mündet, mittels einer komplizierten Maschinerie einen roten Luftballon aufzublasen und losfliegen zu lassen. Auf seinem Weg fährt er in einem hellblauen Cabriolet eine spektakulär steile Passstrasse hinab. Danach überschüttet er das Gefährt mit Benzin und zündet es an. Der Wagen taucht schon in «The Villagers» auf, der Fahrer trägt nun aber eine Maske mit Rinus Van de Veldes Gesicht, was ihm ein puppenhaftes Aussehen verleiht. Dieser Maske begegnen Besucher*innen am Eingang zur Ausstellung.
Rinus Van de Veldes Kosmos
Wie die Filme in endloser Schlaufe laufen, folgt die Ausstellung keiner linearen Erzählung. Dieselben Protagonisten, Requisiten und Szenen tauchen auf Zeichnungen, in Filmen und Kulissen auf und oft erschliessen sich die Objekte erst bei der zweiten Begegnung. So taucht man immer tiefer in Rinus Van de Veldes Kosmos ein und trifft an jeder Kreuzung eine Entscheidung, bis man in den Requisiten beinahe verloren geht, zwischen einem meterlangen Tunnel, durch den der Protagonist im Film in einen unterirdischen Maschinenraum gelangt, und dem Hausdach, dass aus dem Hochwasser ragt und im Film einem Pärchen Schutz bietet.
Pseudo-autobiografische Momente
Rinus Van de Velde baut die Kulissen in seinem Atelier mit viel Liebe zum Detail aus Holzlatten, Karton und Pappmaché. Die Helden in seinem Werk erinnern an die Typen aus Filmen und Geschichten, Figuren, die ihre Gültigkeit verloren haben: Das schweigsame Grossmaul, das sich alleine durch die entlegensten Regionen kämpft, der introvertierte Held, der einsam im Atelier an seinem Lebenswerk schafft. Die Vergeblichkeit ihrer Expeditionen und Absurdität ihrer Unternehmungen weckt Neugierde und lässt uns über die menschliche Unzulänglichkeit lächeln. Rinus Van de Velde nutzt die Zeichnung, um einer Idee oder einem Plan Form zu geben, für die Visualisierung von Ideen und der Schaffung seiner fiktiven Universen. Die Zeichnungen zitieren pseudo-autobiografische Momente aus dem Leben des Künstlers: Als Forscher im Einbaum oder als Maler im Studio nimmt er beliebige Identitäten an. Dabei bedient er sich frei im kunsthistorischen Repertoire von Malstilen. Verspielte Keramiken mit Referenzen zu Bob Dylan oder Gustave Courbets «L’Origine du monde» sind eigenständige Objekte.
Text: Kunstmuseum Luzern, Evelyne Sutter