Die Ausstellung zeigt das gesamte Schaffen des gebürtigen Wieners von frühen Werken, die noch in der Bildtradition des 19. Jahrhunderts stehen bis zu den spätmodernen Werken aus einer Zeit, in der Kokoschkas figurative Kunst neben der vorherrschenden abstrakten Kunst als überholt galt. Ein besonderes Highlight bilden zwei monumentale Triptychen aus dem Spätwerk, «Die Prometheus Saga» und «Thermopylae», welche erstmals seit 1962 wieder zusammen zu sehen sind.
Kunsthaus Zürich | Oskar Kokoschka. Eine Retrospektive
- Publiziert am 14. Dezember 2018
Erstmals seit 1986 ist der Expressionist, Europäer und Humanist wieder in der Stadt an der Limmat zu sehen.
Meister und Vorbild
Oskar Kokoschka (1886–1980) gehört mit Francis Picabia und Pablo Picasso zu jener Malergeneration, die an der gegenständlichen Malerei festhielt, als die Abstraktion nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Dominanz etablierte. Dass heute die gegenstandslose Malerei und die Figuration ohne ideologische Grabenkämpfe nebeneinander praktiziert werden können, ist auch ihr Verdienst. Künstler*innen der Gegenwart berufen sich insbesondere auf Kokoschka. Seine expressionistische Malweise nehmen Nancy Spero, Georg Baselitz, Herbert Brandl und Denis Savary ex- oder implizit zur Inspirationsquelle. Sie schätzen die gestische Artikulation seines Pinselstrichs, loben den weltoffenen Charakter des Wieners oder teilen die pazifistische Haltung, die Kokoschkas Werk, sein Leben und Vermächtnis prägen. Nach seiner letzten grossen Einzelpräsentation 1986 macht das Kunsthaus nun neue Besuchergenerationen mit dem Werk bekannt, dessen Schöpfer 1980 am Genfersee starb und von dessen Nachlass sich bedeutende Bestände in Vevey und Zürich befinden.
Migrant und Europäer
Die Retrospektive spürt den Motiven und der Motivation des Malers nach, der in nicht weniger als fünf Ländern zuhause war. Aus allen Lebensphasen versammelt Kuratorin Cathérine Hug rund 100 Gemälde und ebenso viele Arbeiten auf Papier, Fotografien und Briefe. Diese Zeitzeugen belegen, dass Kokoschka die Diffamierung seiner Kunst als «entartet» während des Nationalsozialismus einigermassen aufrecht überstand: Auftragsarbeiten berühmter Persönlichkeiten aus Literatur, Architektur und Politik sicherten sein Überleben. Im Exil wird er zum unbeugsamen Kämpfer für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte; ein Humanist, der in seinen Werken Landschaften und Kindern ebenso einen Platz einräumt wie mythologischen Gestalten und Metaphern, die gegen Kriegsgräuel und für die Kraft der Liebe und die Schönheit der Natur stehen. Es ist diese eigenständige, künstlerische Sprache des politischen Protests, die Kokoschka unverwechselbar macht.
Triptychen erstmals ausserhalb Englands vereint
Zwei grossformatige, je rund acht Meter breite und über zwei Meter hohe dreiteilige Gemälde – «Die Prometheus Saga» (1950, The Courtauld Art Gallery, London) und «Thermopylae» (1954, Universität Hamburg) stellen den Höhepunkt von Kokoschkas reifem Werk dar. Und von dieser Retrospektive. Erst einmal, 1962 in der Tate, waren beide Wandbilder gemeinsam zu sehen. Sie entstanden in einer Transitionsphase: nach einem Jahrzehnt im Londoner Kriegsexil übersiedelte der Künstler 1953 nach Villeneuve in die Schweiz, wo er bis zu seinem Tod 1980 leben sollte. Das imposante «Prometheus»-Triptychon – ursprünglich eine Innendekoration für einen adligen Auftraggeber in London – war seit 1952, als es an die Biennale von Venedig reisen durfte, nie ausserhalb Grossbritanniens ausgestellt. Die Darstellung des Prometheus, Urheber der menschlichen Zivilisation, ist wie das «Thermopylae»-Triptychon ein Appell an die Menschen, sich als Brüder und Schwestern in Frieden und Freiheit zu vereinen. Neben der inhaltlichen Dimension kann an diesen Exemplaren auch der Schaffensprozess abgelesen werden, mit dem sich Kokoschka von anderen Zeitgenoss*innen unterschied. Pinselstriche und Farbverläufe lassen die Betrachter*in die Bewegung des Künstlers, einen für die figurative Malerei unüblichen performativen Produktionsprozess, erkennen. Der an der Figuration festhaltende Expressionist, der eine Schule des Sehens gründete, die bis heute in Salzburg fortbesteht, galt damals vielen als antimodern – tatsächlich kämpfte er für einen demokratischen Zugang zu Bildung und für eine offene Gesellschaft.