Wolfgang Beltracchi, seine Frau Helene und eine weitere Mittelsperson narrten die Kunstwelt rund 40 Jahre lang mit angeblich wiederaufgefundenen Gemälden namhafter Künstler*innen und verdienten damit Millionen.
Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi | Das grosse Interview
- Publiziert am 17. September 2020
Hochstapler, Genie, Millionär, Künstler? Die unglaubliche Geschichte eines Kunstfälschers.
Wolfgang Beltracchi (* 4. Februar 1951 als Wolfgang Fischer) wurde am 27. Oktober 2011 in einem der grössten Kunstfälscherprozesse seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wegen gewerbsmässigen Bandenbetrugs zu einer Haftstrafe von sechs Jahren verurteilt. Seine Frau Helene zu vier Jahren. Ermittler gehen von einem Betrugsgewinn zwischen 20 und 50 Millionen Euro aus.
Zur Täuschung inszenierten Beltracchis auch Fotos mit fingierten «Sammlungen». Aufgeflogen ist ihr Betrug wegen zwei Prozent eines Weisstones in einer Tube aus Holland, die zur Zeit der «Entstehung» des fraglichen Bildes vom Maler nicht gebraucht wurde. Nach der Verbüssung ihrer Strafe wohnen die Beltracchis heute in der Schweiz. Mit echten «Beltracchis» verdient der Sohn eines Kirchenrestaurators wieder gutes Geld.
Mit Wolfgang Beltracchi (WB) und seiner Ehefrau Helene Beltracchi (HB) sprach Gerold Zenoni.
Wolfgang Beltracchi in was investierten Sie als Kind ihr erstes Geld?
Das weiss ich nicht mehr. Wahrscheinlich in Kino und Coca-Cola. Als Kind musste ich Sonntags entweder als Ministrant oder als Gottesdienstbesucher zur Messe. Zu gleicher Zeit lief im Kino ein Vormittags-Film. Wenn wir 50 Pfennig hatten – so viel kostete der billigste Platz – haben wir uns schon mal ins Kino begeben und die Messe geschwänzt. Meine Mutter hat mich natürlich erwischt. Da gabs Stress. Meistens hatten wir die 50 Pfennig sowieso nicht und mussten in die Kirche (lacht).
War das hart?
WB: Überhaupt nicht hart, nur lästig. Aber Beerdigungen mochte ich. Ich hatte einen Freund, der war Leichenwäscher und hat die Gräber ausgehoben. Ich schaute zu. Es hat mich interessiert, wie sich die Menschen verändern, wenn sie tot sind. Dann wurden die immer schräg an die Wand gestellt in der Leichenhalle.
Klingt makaber
WB: Das war nicht makaber. Wenn ich mich recht erinnere, machte man es wegen der Flüssigkeiten. Die Menschen sahen dann anders aus. Mich hat das nie erschreckt. Ich sah schon als junger Bursche viele Tote.
Beltracchi heisst so ungefähr: Schöne Spuren. Welches war für Sie die schönste Spur, die Sie innerhalb Ihrer Tätigkeit auf krummen Pfaden der Kunstwelt gelegt haben?
WB: Die frechste Spur war in einem angeblichen Bild von Heinrich Campendonk, das der Poetin Else Lasker-Schüler gewidmet war. 1913 schrieb sie das Gedicht «Künstler». Darin kommt ein junger Mann vor, der mit einem Raben auf einer Bank sitzt. Ich malte den Mann als jungen Hitler. Das war eine Riesenfrechheit und ein Riesenrisiko. Das Bild ist später verkauft worden und hing in einer berühmten Sammlung. Nach meiner Verhaftung hat mich ein «Spiegel»-Journalist zu diesem Bild befragt. Das ist doch Hitler? Er war der erste, der es bemerkt hat.
Warum haben sie das gemacht?
WB: Aus Jux. Aus Spass habe ich so Dinge gemacht.
In einem Interview meinten Sie: «Ein schlechtes Gewissen hatte ich nicht, es gab ja keine Opfer, denn ich habe keiner alten Dame ein Bild verkauft.» Kam da nicht trotzdem manchmal ein mulmiges Gefühl auf?
WB: In meiner 40-jährigen Tätigkeit kamen erst im letzten halben Jahr vor dem grossen Skandal bei uns Zweifel auf (lacht). Da wussten wir, jetzt gehts schief. Alle Bilder, die ich gemalt habe, hatten Expertisen. Wir hatten naturwissenschaftliche Untersuchungen. Einige Bilder wurden mehrfach untersucht. Einige Experten sagten selbst nach dem Prozess, nein, das ist nicht falsch. Die Gutachten sagen, das ist echt.
Gibt es aktuell noch Bilder, die grosse Meister vorgeben und irgendwo in der guten Stube hängen?
WB: Natürlich. Die stehen nicht zur Diskussion.
HB: Durch unsere enorme Medienpräsenz wissen inzwischen natürlich viele, dass sie Bilder besitzen, die eine andere Provenienz haben, als man sie glauben liess.
WB: Während der ganzen Insolvenzzeit haben wir betont, wenn jemand ein Bild von uns hat, kann er sich melden. Aber letztlich hat sich niemand gemeldet.
Herr Beltracchi sind Sie der Robin Hood der Kunstwelt oder eher eine Art glänzender Hofnarr der Kunstszene?
WB: Weder noch (lacht). Als Robin Hood habe ich mich nie gesehen. Und Hofnarr eigentlich auch nicht.
HB: Vielleicht ist er eher ein Eulenspiegel.
WB: Ja, genau. Ich habe dem Kunstmarkt den Spiegel vorgehalten. Ich habe über eine sehr lange Zeit auch alte Meister gemalt. Aber es gibt nicht ein einziges altes Meisterbild von mir, das als Fälschung entdeckt worden ist. Nicht eins. Es war zwar nie meine Absicht, die Kunstexperten vorzuführen, aber das sagt doch viel aus. Die meisten haben ihre Expertisen in gutem Gewissen gemacht und haben nicht einmal viel Geld dafür genommen. Aber selbst jene, die mehr Geld wollten, machten es nicht, weil sie dachten, dass das Bild falsch ist. Sie handelten aus Gier. Und all diese Experten stehen jetzt da und wissen, dass sie gar keine Experten sind. Das ist der Schock. Das hat den Kunstmarkt derart erschüttert.
Wie sieht das heute aus?
WB: Heute müssen die Auktionshäuser die Provenienz lückenlos nachweisen. Aber sonst hat sich nichts geändert. Es gibt eine schöne Aussage des Philosophen Peter Sloterdijk in einem DU-Heft, das ich im Dezember 2019 gemacht habe. Er hat gesagt: «Man kann da nichts und niemandem trauen.» Bei der Kunst ist es seiner Ansicht nach so, dass man als Mensch nur sagen kann, dieses Kunstwerk gefällt mir. Da glaub ich dran. Das ist wie mit dem religiösen, kirchlichen Glauben. Ich glaube daran. Und deshalb kaufe ich es. Ich möchte es haben und behalten.
Gibt es Käufer, die wissen, dass sie eine Fälschung haben und sie trotzdem behalten wollen?
HB: Ja, der Verleger Daniel Filipacchi beispielsweise. Er hat in einer Versteigerung ein angebliches Bild von Max Ernst gekauft. Filipacchi hat unglaublich viel Geld, fast acht Millionen Dollar dafür bezahlt. Hinterher hat er erfahren, dass es kein echter Max Ernst ist, sondern ein Werkt von Wolfgang. Er wollte es dennoch behalten!
WB: Daniel Filipacchi hat die grösste Surrealistensammlung der Welt. Er hat mich angerufen und gesagt: «Herr Beltracchi malen Sie weiter, wir lieben dieses Bild. Aber unterschreiben Sie jetzt schön mit Ihrem Namen» (befreites Lachen).
Wie stehen Sie zum Sprichwort: Ehrlich währt am längsten?
WB: Das ist ja wohl ein Scherz, oder? Das ist ein Sprichwort, das man nicht verallgemeinern kann. Ich habe niemals in meinem Leben irgendwelche krummen Dinger gemacht, also Leute betrogen oder belogen. Ausser eben diese Bilderfälschungen (lacht). Aber ansonsten bin ich der ehrlichste Mensch, den man sich vorstellen kann.
Können Sie uns jenen Moment schildern, als Sie Kenntnis von der Laboranalyse bekamen, die zum Einsturz Ihres Geschäftsmodells geführt hat?
WB: Uff. Ich muss sagen, dass wir diese Laboranalyse gar nicht so ernst genommen haben. Das Titanweiss, das da gefunden wurde, gab es durchaus 1914 schon.
HB: Es wurde bereits 1906 patentiert.
WB: Es hätte also durchaus in unserem Bild vorkommen können. Im Prozess gab es ein Obergutachten durch eine Expertin für Expressionisten. Diese hat das Bild als echten Campendonk ausgewiesen. Das war nicht der Knackpunkt.
HB: Wir wussten dennoch, das wird auffliegen.
Wie haben Sie reagiert?
HB: Als Erstes denkt man daran, die Kinder zu schützt. Deshalb sind wir ja auch nach Deutschland gefahren, wo wir uns stellen wollten. Als sich die Sache immer mehr zuspitzte, rief ich bei den Freiburger Ermittlungsbehörden an. Ich sagte ihnen, dass sie das Haus in Freiburg versiegeln sollen. Wir würden am nächsten Tag kommen, um mit der Staatsanwaltschaft zu sprechen. Dann sind wir nach Freiburg zu unseren Anwälten gefahren. Abends wollten wir mit den Kindern in deren Lieblingsrestaurant gehen. Wir wollten sie ruhig auf unsere missliche Situation vorbereiten. Auf dem Weg zum Restaurant sind wir verhaftet worden. Da waren Strassensperren und Polizei.
WB: Schwer bewaffnet. Die haben das richtig hochgepusht.
HB: Wenn sie plötzlich verhaftet werden und jemand hält ihnen eine Waffe an den Kopf, dann fragen sie sich schon, warum das?
War Ihnen klar, was passiert?
WB: Wir rechneten nicht mit Untersuchungshaft. Es bestand weder Verdunklungs- noch Fluchtgefahr. Gemäss einem Schreiben der Staatsanwaltschaft sollte zuerst der Zugriff erfolgen, um dann eben Fluchtgefahr geltend machen zu können. Wir sind aus Frankreich gekommen, wir hätten das nicht machen müssen. Die Franzosen hätten uns nicht ausgeliefert. Deutschland hat weder einen Durchsuchungsbefehl gekriegt, noch eine Abhörgenehmigung. Nichts. Für die Franzosen war die Beweislage zu schwach. Dann haben die Deutschen das über die Amerikaner gemacht. Über einen amerikanischen Satelliten haben die uns abgehört.
Wie alt waren Ihre Kinder damals?
HB: Franziska war 17 und Manu 22.
Sind die Kinder nicht doch irgendwie involviert gewesen?
WB: Die haben zu diesem Zeitpunkt nicht einmal mehr bei uns gelebt.
Das heisst ja an und für sich nichts…
WB: Wir hätten nie unsere Kinder reingezogen. Die Polizei hat nur immer Gedanken in diese Richtung.
Wie ging es weiter?
WB: Wir sind nach dem offenen Vollzug aus Deutschland ausgereist. Wir wollten auf keinen Fall dortbleiben. Wir reisten nach Frankreich zurück, wo wir fast ein Vierteljahrhundert gelebt haben. Nach zwei Jahren haben wir gemerkt, das ist nicht mehr das Frankreich, das wir gekannt haben. Der Rechtsruck durch den Front National ist sehr stark.
Wie hat sich das geäussert?
HB: Die Tochter guter Freunde hat in Montpellier geheiratet, sie ist katholisch, ihr Mann ist jüdisch und die mussten unter Polizeischutz heiraten. Das war ein Schock für uns. Das darf nicht sein.
WB: Da will man nicht wohnen. Selbst wir wurden, nachdem wir doch immerhin 25 Jahre dort gelebt haben, wieder wie Ausländer behandelt. Im Dorf, in dem meine Kinder aufgewachsen sind, gab es früher zwei Prozent Faschisten. Jetzt sind es 40 Prozent. Wir wollten da nicht bleiben. Deshalb sind wir in die Schweiz gegangen.
Und warum nicht Deutschland?
HB: Weil das kein Rechtsstaat ist.
WB: (gedehnt) Niemals! Voilà. Ich kann Ihnen eine halbe Stunde einen Vortrag halten, warum Deutschland keine Demokratie ist.
Sie haben es nicht bereut, in die Schweiz gekommen zu sein?
WB: Überhaupt nicht. Im Gegenteil. Hier werden die Menschen vernünftig bezahlt für ihre Arbeit. Der Arbeitnehmer ist nicht gefrustet und lebt nicht nahe am Existenzminimum. In Deutschland schon, denn dort sind die Löhne derart niedrig.
HB: Es gibt kein Land auf der Welt, wo die Krankenversorgung so gut ist wie in der Schweiz.
Deutschland kommt bei Ihnen nicht gut weg.
WB: Ich erhalte 350 Euro Rente in Deutschland. Über 30 Jahre habe ich als Künstler einbezahlt. Es gibt nicht einmal eine Mindestrente. Die sagen Deutschland sei ein Sozialstaat. Ich krieg immer Anfälle, wenn ich das höre. Das ist ein Asozialstaat. Der Hauptgrund für die miese Bezahlung lautet, dass man bei höheren Löhnen nicht mehr konkurrenzfähig sei. Wie macht dann das die Schweiz? Wieso sind die Firmen hier konkurrenzfähig?
Erklären Sie es uns!
WB: Die Arbeitgeber nehmen ein bisschen weniger. Dafür erhalten die Beschäftigten vernünftige Löhne. Das ist gruselig in Deutschland. Auch für die Rentner. Das ist ein Betrug auf höchstem Niveau. Die Deutschen müssen jedes Jahr über 100 Milliarden in die Rentenkasse zuschiessen!
HB: Die Regierenden haben die Rentenkassen geplündert ohne Ende. Die Menschen haben es angespart und der Staat hat es ausgeschüttet. Das ist Betrug, Diebstahl (Zustimmung von WB).
Aber sie kommen dafür nichts ins Gefängnis.
HB: Natürlich nicht. Der Staat kommt ungestraft davon. Wir nicht. Deutschland ist das Land, das die allerniedrigste Kompensation bezahlt, wenn jemand unschuldig im Gefängnis sitzt. Gerade mal 19 Euro pro Tag.
19 Euro, wenn man unschuldig im Gefängnis sitzt?
WB: Genau, 19 Euro, der nächste Staat zahlt etwa 125 und dann gehts immer weiter bis 1000. Wenn Leute fünf Jahre im Gefängnis waren, sind sie gesundheitlich ruiniert und kriegen trotzdem nur eine winzige Summe Geld. Die kriegen keine Rentenversicherung für ihre Arbeit, rein gar nichts. Im Gefängnis gewesen zu sein, ist für uns in Ordnung. Wir haben es verdient. Allerdings nicht die hohe Strafe von sechs Jahren. Das kriegt kein Totschläger. Meinen sechzigsten Geburtstag hab ich im Knast gefeiert (lacht).
Sie finden die Strafe überrissen?
WB: Das war die höchste Strafe, die je ein Fälscher in Deutschland erhalten hat. Wir beschweren uns nicht, wenn wir auch jahrelange Bespitzelung und Überwachung durch die Polizei erdulden mussten. Wir haben Sachen mit denen erlebt, das kann man sich nicht vorstellen. Deutschland ist ein gut getarnter Polizeistaat. Wir fanden nach dem Umzug nach Frankreich Abhörwanzen im Bett.
Kein Witz jetzt?
WB: Kein Witz, damit scherzt man nicht. Die haben uns abgehört.
HB: Man muss trotzdem sagen, dass ich im Gefängnis viel über Menschen gelernt habe. Auch über Gut und Böse innerhalb des Gefängnisses. Das möchte ich nicht missen.
Und Sie Herr Beltracchi?
WB: Auch ich habe viel über mich gelernt. Was kann ich aushalten? Wie bin ich wirklich? Zieh ich den Schwanz ein oder hab ich Angst? Das war viel Wert. Doch wenn man nachher illegal immer noch überwacht wird, ist das doch irre.
Wie geht es Ihnen heute?
WB: Uns geht es sehr gut. Wir verdienen viel Geld. Wir können super leben und die Kinder unterstützen. Wir können sogar Geld spenden. Alle unsere französischen Freunde haben nach der Inhaftierung zu uns gehalten. Was braucht ihr? Was können wir für die Kinder tun? Also wirklich toll, obwohl die alle nicht reich sind. Die meisten Deutschen haben uns fallen gelassen wie heisse Kartoffeln.
Woran arbeiten Sie momentan?
HB: Zwei Bücher sind in Arbeit.
WB: Da gehts um edukatives Lernen. Weiter haben wir eine neue Fernsehserie geschrieben und sind mit einem Kinofilm beschäftigt. Ein grosses Ausstellungsprojekt über Engel und Inquisition ist auch geplant. Zudem mache ich eine Arbeit um die Zürcher Stadtheiligen Felix und Regula. Das Hotel «Felix» wird umgebaut. In der Lobby gibt es eine grosse Wand. Für diese Wand wollen die Besitzer ein Bild.
Sie malen nicht direkt auf die Wand?
WB: Nein, wir malen das auf Leinwand. Wenn das Hotel mal verkauft wird, kann man die drei Bilder woanders hängen, denn die kosten viel Geld.
Was wäre Ihr Traumkunstwerk?
WB: (überlegt lang) Vielleicht das Kunstwerk, in dem ich ganz verschwinde. Diese Erfahrung habe ich als Kind gemacht. Ich war zehn Jahre alt und besuchte mit einer niederländischen Tante in Den Haag das Kunsthaus Mauritshuis. Ich stand vor einem Bild mit dem Titel «Eisvergnügen» samt Pferden und Eis. Zuerst roch ich das Bild. Dann hörte ich die Hunde und dieses schsch, schsch der Schlittschuhkufen. Kalt war’s auch. Ich war im Bild drin.