Italien war seit jeher ein Sehnsuchtsort für Künstler. Seit der Renaissance übte das Land als Wiege der Künste eine ausserordentliche Faszination auf die europäischen Kunstschaffenden aus. Michelangelo, Raffael und Leonardo galten als unumstrittene Höhepunkte und die Antike war hier wie nirgendwo anders unmittelbar erfahrbar. Die drei Ausstellungen bieten aber nicht nur grosse Meister sondern auch einen Ausschnitt der umfangreichen, hauseigenen Arte Povera-Sammlung und entzückende Miniaturen.
Kunst Museum Winterthur | Dreimal Italien
Unser südliches Nachbarland steht im Zentrum der drei Ausstellungen «Italia», «Nord-Süd» und «Di passaggio»
Italia – Zwischen Sehnsucht und Massentourismus
Für Wissenschaftler und Dichter der Aufklärung gehörte eine Bildungsreise in den Süden zum obligaten Programm. Neben der Antikenbegeisterung und der Bewunderung für die italienische Kunstgeschichte war es vor allem die Sehnsucht nach dem Süden als Inbegriff von Freiheit und Einklang von Kunst und Leben im utopischen Arkadien, die Italien zum real existierenden Ziel der Träume machte. Von den niederländischen Bentvueghels des 17. Jahrhunderts über die Klassizisten und die romantisierenden Präraffaeliten bis hin zu den Deutsch‐Römern zog es die Künstler mit immer wieder neuem Blick ins Bel Paese.
Im 20. Jahrhundert änderte sich diese Sicht: Die einstmals noble Grand Tour wich dem Massentourismus, die Weltkriege führten zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Der idealisierte Sehnsuchtsort war einer nüchternen, modernen Betrachtung gewichen. Die Arte Povera unterlief in den 1960er Jahren die Erwartungshaltungen und befragte das Italien von damals mit neuem, anderem Blick. Das über die Jahrhunderte von aussen verklärte Land wurde nun von innen reflektiert betrachtet. Heute beleuchten Kunstschaffende wie Monica Bonvicini und Luigi Ghirri das eigene Land in schonungsloser Direktheit. Langweilig wird es nie in Italien – Andiamo!
Die Ausstellung folgt dem Aufbruch in den Süden von namhaften Künstlern wie Claude Lorrain und Jan Both über Joseph Anton Koch, Carl Blechen, Arnold Böcklin und Anselm Feuerbach bis zu Barthélemy Menn und kontrastiert erstmals deren Italienerlebnis mit den kritischen Gegenbildern der Arte Povera und der Kunst von heute.
Nord – Süd / Perspektiven auf die Sammlung
Die tiefgreifende Zäsur des Zweiten Weltkrieges hatte auch in der Kunst einen radikalen Umbruch zur Folge. Auf die Katastrophe des Krieges folgte die Jahrzehnte anhaltende Zweiteilung der Welt in Ost und West. Zugleich begann der Wiederaufbau, wobei seit den 1950er und 1960er Jahren eine Aufbruchstimmung die Gesellschaft und die Kunst prägte. Neue Energien wurden freigesetzt, die traditionellen Vorstellungen, was ein Kunstwerk konstituiere, wurden nach dem Schock der Moderne einmal mehr in Frage gestellt. Das Kunst Museum Winterthur ist reich an Werken der unmittelbaren Nachkriegszeit, vor allem aber der Kunst seit den 1960er Jahren. Ein Schwerpunkt der Sammlung liegt bei der Arte Povera. Dabei handelt es sich um eine künstlerische Bewegung, die sich in den 1960er Jahren in Italien formierte mit inzwischen berühmten Künstler:innen wie Luciano Fabro, Jannis Kounellis, Mario und Marisa Merz sowie Giuseppe Penone. Mit ihrer «armen» Materialkunst begannen sie, die Umbrüche der Zeit, die gesellschaftliche Neuorientierung und politische Krisen in Italien zu reflektieren. Aus Anlass der gleichzeitig stattfindenden Ausstellung Italia zeigt das Museum einen Ausschnitt der umfangreichen Arte Povera-Sammlung erstmals im Obergeschoss des Reinhart am Stadtgarten. Dem stellen die Winterthurer ausgewählte Positionen von Künstler:innen aus dem Norden, insbesondere aus Deutschland, gegenüber. Diese organisierten sich weniger in Gruppen, sondern formierten sich um Kunstzentren wie Düsseldorf mit seiner berühmten Akademie, die dank Kunstschaffenden wie Gerhard Richter, Isa Genzken, Pia Fries und Thomas Schütte zu einem eigentlichen Epizentrum wurde.
Di passaggio – Italienische Miniaturbildnisse des Klassizismus
Miniaturmaler:innen machten sich oft als Handelsreisende verdient, sie waren auf der Durchreise – Di passaggio. Ihre Porträtminiaturen waren luxuriöse Preziosen, die einen geliebten Menschen während dessen Abwesenheit ersetzten. Sie dienten als Erinnerungsstücke, Präsentationsobjekte oder Statussymbole zu einer Zeit, als noch keine fotografischen Verfahren existierten. Sie sind bildhafte Zeichen verwandtschaftlicher Verbindungen der europäischen Aristokratie. Die italienischen Bildnismaler von Weltruf – Rosalba Carriera, Ignazio Pio Vittoriano Campana, Domenico Bossi und Ferdinando Quaglia – machten ausserhalb ihrer Heimat Karriere. Italien selbst war zur Zeit des Klassizismus in zahlreiche Republiken und kleine Herzogtümer zersplittert. So verweilten etliche Miniaturisten in den damaligen Kunstzentren London und Paris oder reisten von einem Fürstenhof zum nächsten. Ihre Porträtbildnisse, nach klar definiertem malerischen Stil der jeweiligen Station, verdeutlichen die opulente Inszenierung der gehobenen Gesellschaft in kostbaren Roben aus Seide und Spitze, sorgfältig frisiert und mit perfekt abgestimmten Accessoires. Diejenigen Miniaturisten, welche in der Heimat verblieben – Francesco Emanuele Scotto, Francesco Paolo Sacco, Bianca Festa –, verfolgten, in der Auseinandersetzung mit antiken Vorbildern, einen eher klassisch‐nüchternen, bisweilen artifiziell anmutenden Porträt‐Stil. Die Ausstellung Di passaggio präsentiert eine konzise Auswahl von Miniaturen italienischer Künstler des Klassizismus aus dem reichen Fundus der Miniaturensammlung, ergänzt durch ausgewählte Leihgaben. Sie zeigt sowohl die stilistischen Einflüsse des jeweiligen Entstehungsortes als auch die internationale Vernetzung der führenden Miniaturisten.