Vorgänger von Ursula Stalder sind das niederländische Varietee-Duo «Mini & Maxi» (2016), der niederländisch-schweizerische Künstler Ted Scapa (2017), der Wasserbotschafter und Expeditionsschwimmer Ernst Bromeis (2018), die Fernsehpersönlichkeit Nik Hartmann (2019), die Schweizer Mundartsängerin Sina (2020), der Reggaesänger und Musikproduzent Dodo (2022/23) und Nationalrat Martin Candinas (2023/24).
Die Luzerner Künstlerin Ursula Stalder ist Ehren-Leuchtturmwärterin 2024/25
Seit 2016 ernennt die Stiftung Leuchtturm Rheinquelle jährlich aussergewöhnliche Persönlichkeiten aus dem Einzugsgebiet des Rheins für dieses «Amt».
Statement von Ursula Stalder – Der Weg zu den Dingen hin
Seit 29 Jahren bin ich als Künstlerin und Sammlerin an den Rändern Europas unterwegs, den Blick stets auf den Boden gerichtet. Schritt für Schritt beobachte ich, was vor mir am Boden liegt. Verlorene oder weggeworfene Dinge, die mich anziehen und faszinieren. Ich hebe sie auf, ertaste, prüfe und betrachte sie. Manchmal verwerfe ich sie oder eigne sie mir an. Auch die Fundstücke reden mit mir, es ist ein Dialog mit feinem Abwägen und Entscheiden. So habe ich damals angefangen und auf diese Weise kam ich als Sammlerin zu meiner Beute. Die Fundstücke nehme ich nach Hause und integriere sie in mein Archiv. Dort lagern sie, in inzwischen 250 beschrifteten Bananenboxen, meist geografisch, manchmal thematisch geordnet. Es ist das Grundmaterial für meine künstlerische Arbeit. In meinen Ausstellungen wird sichtbar, wie die Dinge im Laufe der Zeit und in neuem Kontext ihr Wesen verändern. Ich gebe den wertlosen Gegenständen einen Auftritt und möchte so den Kreislauf vom Boden zurück in den zivilen Lebensraum ermöglichen.
Was hat mich vor 29 Jahren getrieben? Ich war damals als bildende Künstlerin, Malerin und Illustratorin mit meinem Leben nicht ganz zufrieden. Deshalb verreiste ich auf eine südliche Insel, zog mich vom geschäftigen Leben zurück und wollte mich mit grundsätzlichen Fragen beschäftigen. Mit den Fragen des Seins: Wer bin ich, was brauche ich, bin ich auf dem richtigen Weg? Mit diesen persönlichen Fragen verknüpften sich auch gesellschaftliche Fragen. Was tun wir als Gesellschaft, und wohin gehen wir? Es war eine angespannte, bewegte Zeit kurz vor dem Übergang in ein neues Jahrtausend. Also auch die Zeit der Reflektion.
Meine Unzufriedenheit gründete auf dem Empfinden, dass uns die materiellen Anhäufungen immer mehr zudecken und uns einzeln und als Gesellschaft überfordern. Ich wollte wissen, was hinter der materiellen Fassade noch existierte und wo der Kern des Lebens zu finden war. Ich hatte den Wunsch, mich auf geistige Werte zu konzentrieren. Davon versprach ich mir, ein schweres Gewicht abzulegen. Ja, ich wollte leichter werden, und sinnigerweise begleiteten mich zahlreiche Vögel bei meinen Wanderungen am Strand.
Mit all diesen Gedanken am Strand unterwegs begann ich intuitiv vom Boden Dinge aufzuheben. Es kam mir total falsch und paradox vor: Statt mich zu entlasten, schleppte ich bereits wieder Gewicht mit mir. Oft schleppte ich so lange, dass mich abends der Rücken schmerzte. Und ich tat es trotzdem. Wenn ich jedoch, wieder zurückgekehrt in meinen Bungalow, die Taschen leerte und die Schönheit, Kraft und Präsenz der einzelnen Dinge betrachtete, fühlte ich mich ganz aufgehoben. Und heute kann ich sagen, es war damals der Anfang einer neuen Leidenschaft, die bis heute anhält. Deshalb ist das Unterwegssein und die Begegnung mit den Dingen und der damit verbundene Dialog ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Ich frage mich bis heute: Trage ich auf diese Weise kontinuierlich mein Weltbild zusammen?
Seit Anfang meiner Sammeltätigkeit waren 90 Prozent meiner gesammelten Fundstücke aus Plastik. Plastik in allen möglichen Erscheinungsformen: verformter Plastik, geschmolzener Plastik, gebleichter Plastik, brüchiger Plastik. Von den kleinsten Scherben hin zu winzigsten Partikeln, vermischt und getarnt im Sand des Strandes. Die Natur als Bewegerin und Meisterin hat diesen Kunststoff aufgenommen und integriert. Gealterter Plastik kam wie etwas Natürliches daher. Ich als Sammlerin liess mich beeindrucken, in welcher Vielfalt sich dieser Plastik vor meinen Augen zeigte und „performte“! Ich traf auf unglaubliche Formen, vom Zufall eingeprägt oder in eine rätselhafte Verbindung zusammengefügt, geschmolzen oder als Farbenmelange vereint. Die zauberhaftesten Exponate, Fälschungen und Nachahmungen der Natur. Sogar die Kleinlebewesen und Insekten entdeckten das Styropor und benutzten es für ihre Zwecke.
Plastik war damals schon ein grosses Problem in der Gesellschaft und nicht nur bei den Umweltorganisationen. Doch damals konnte man das Thema noch verdrängen. Heute sind wir an dem Punkt, wo uns der Plastik tatsächlich zu Leibe rückt.
„Not macht erfinderisch“. Dies habe ich in den Jahren 1995/96 während meinem neunmonatigen Aufenthalt in Ägypten erfahren. Kairo war damals für mich die Stadt der Abfälle. Nicht nur die Strassen, auch alle Dächer der Stadt waren voller Müll. Wenn ein neues Haus gebaut wurde, schob man die Abfälle immer einen Stock höher, bis sie sich schlussendlich zuoberst auf dem Flachdach stapelten und nach Ansicht des ägyptischen Volkes die ideale Isolation gegen die Hitze waren. Für einen Teil der Abfall-Entsorgung auf den Strassen war damals in Kairo eine christliche Minderheit, nämlich das koptische Volk, zuständig. Sie lebten in Fustat, einem ärmlichen Teil Altkairos. Unmengen von Abfall dieser 20-Millionen-Stadt sammelten sie zusammen mit ihren Kindern ein, brachten diesen in ihren Stadtteil, wo sie umgeben von Müll lebten. Den Abfall sortierten sie, trennten ihn und aus einigen der Materialien kreierten diese Familien wunderschöne Produkte für den Verkauf. Für mich war das ein beeindruckendes Bild. Zum Beispiel stellten sie aus dem Blech der Konservendosen Ramadan-Laternen her.
Die Entscheidung, mich voll auf Fundobjekte einzulassen, hatte grosse Konsequenzen. Von dem Moment an bestimmten die Objekte die Themen meiner Arbeit. Ich musste mich gewaltig zurücknehmen, durfte nicht vorlaut sein, diese Haltung erforderte Disziplin und wurde zu meiner Aufgabe. Als Hüterin des Archivs der Dinge haben wir, die Dinge und ich, vor vielen Jahren einen gemeinsamen Weg eingeschlagen, der wahrscheinlich kein Ende hat.
Meine Arbeit mit Plastik und Abfall bleibt aktuell, die Weltmeere sind voll davon. Der Werkstoff Plastik ist überall und aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Doch wir brauchen grundlegende Veränderungen. Da sind wir alle gefordert. Nicht nur die Umweltschützer, auch die Künstlerinnen, die Sozialarbeiter, die Theologinnen, die Erzieher, die Architektinnen, die Ethiker. Doch wer noch ganz lange gefordert sein wird, das ist die junge Generation.
Visionär denken und neue Wege einschlagen, richtig handeln im hier und jetzt. Wo holen wir für diese grossen Herausforderungen den nötigen Mut? Es gibt da ein passendes und fast vergessenes Sprichwort: «Wirf dein Herz über das Hindernis!»
Ursula Stalder, Horw
Lebenslanger Zugang zum Turm
Der weltweit höchstgelegene Leuchtturm Rheinquelle markiert als leuchtendes Wahrzeichen symbolisch den Anfang des Rheins und soll als aktiver Botschafter der Regionen Surselva und Andermatt/Urserntal möglichst viele Menschen entlang des Rheins erreichen und berühren. Er ist ein Nachbau jenes Leuchtturms, der lange Jahre bei der Rheinmündung im niederländischen Hoek van Holland seinen Dienst versehen hat und heute im Maritiem Museum in Rotterdam steht. Die gemeinnützige Stiftung Leuchtturm Rheinquelle hat sich zum Ziel gesetzt, mit der Organisation von künstlerischen Aktivitäten und Anlässen die touristische Vermarktung und die Inszenierung der Rheinquelle zum Wohl der Region zu fördern. Spenden ab CHF 100 werden mit einer exklusiven Leuchtturm-Schlüsselbox mit Bildbroschüre und Schlüssel verdankt. Der »Rote Leuchtturmschlüssel» ermöglicht jederzeit (im Winter eingeschränkt) den Zugang zum Leuchtturm auf dem Oberalppass.
Festakt Am Freitag, 7. Juni 2024
An diesem Tag wird die von der Stiftung Leuchtturm Rheinquelle als Ehren-Leuchtturmwärterin 2024/25 ernannte Ursula Stalder anlässlich eines Festaktes auf dem Oberalppass (2046 m ü. M.) von ihrem Vorgänger Martin Candinas in ihr Amt eingesetzt. Gleichzeitig mit der Amtseinsetzung von Ursula Stalder findet die Vernissage ihrer neusten und eigens für den Leuchtturm Rheinquelle konzipierten Installation statt. Aus diesem Anlass wird der Leuchtturm für alle Anwesenden frei zugänglich sein. Ursula Stalder hat für ihr schöpferische Auseinandersetzung mit Schwemmgut viele Auszeichnungen erhalten. Wie sie ihren «Weg zu den Dingen hin» gefunden hat, beschreibt sie in ihrer Dankesrede, die sie anlässlich der Übergabe des Kunstpreises der Gemeinde Horw gehalten hat, (Auszüge davon siehe graue Box. Es ist Ursula Stalder ein grosses Anliegen, bereits junge Menschen für die Problematik der Umweltverschmutzung zu sensibilisieren. Deshalb wird im Moment abgeklärt, ob mit Schulklassen in Form von Cleenups nach der Schneeschmelze Kurse zum Thema «Gestalten mit Fundobjekten» durchgeführt werden können.