Nüchterne, weisse Räumen in Galerien und Museen ist sich die im Jahre 1940 in Bern geborene Künstlerin Manon gewohnt. Die reich verzierten, jahrhundertealten Räume des Piano Nobile, die sich bis ins Mittelalter zurückdatieren lassen, stellten jedoch für sie und den Kurator Sacha Nacinovic eine besondere Herausforderung dar. Die sensible Abstimmung der Werke ist bestens geglückt. Entstanden ist eine Ausstellung, die zu einer poetischen Reise einlädt.
Die Ausstellung «Poesia» ist selbst für eine Kunstikone wie Manon eine Herausforderung
Die herrschaftlich ausgestalteten Räumlichkeiten des Piano Nobile in Ronco sopra Ascona verlangen einen besonders sensiblen Umgang mit Kunst und Raum.
Manon – Biografie
Manon, geboren 26. Juni 1940 in Bern, Tochter eines renommierten Ökonomieprofessors und eines Mannequins, verbringt ihre Kindheit in einem ablehnenden und distanzierten Elternhaus in St. Gallen. Sie verlässt es bereits mit 15 Jahren, besucht die Kunstgewerbeschule, lebt allein in einem Hotelzimmer und heiratet verfrüht mit 16 Jahren. Die Erfahrungen ihrer Kindheit führen zu einem mehrmonatigen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik, wo Manon die Künstlerin Sonja Sekula kennenlernt, was zu einer positiven Wende führt. Sie beginnt ein neues Leben in Zürich, besucht das Bühnenstudio, arbeitet als Grafikerin, Dekorateurin, Stilistin, Modezeichnerin und Fotomodell.
1967 begegnet sie ihrem zweiten Ehemann, dem Künstler Urs Lüthi. Sie wird Teil der Zürcher Subkultur, im Kreise von Luciano Castelli, H.R. Giger, Walter Pfeiffer, Sigmar Polke und Markus Raetz. Treffpunkt ist der legendäre Club Platte 27.
1972 eröffnet Manon mit ihren Einzelkreationen, die von der Welt des Varietés inspiriert sind, einen trendsetzenden Modeladen in der vibrierenden Altstadt von Zürich.
Nach der Trennung von Urs Lüthi beginnt die künstlerische Karriere von Manon mit der Installation Das lachsfarbene Boudoir, 1974 und Manon presents Man, 1976, die zu den wichtigsten Werken feministischer Kunst der Schweizer Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts gehören.
Es kommt zu einer Zäsur: Die plötzliche immense mediale Aufmerksamkeit lässt die menschenscheue Künstlerin 1977 nach Paris flüchten. Als Zeichen eines Neuanfangs und in Auflehnung gegen die traditionellen Frauenbilder schert sie sich den Kopf kahl. Mit diesem neuen Selbstbild bestimmt die Künstlerin das Medium Fotografie als ihre künstlerische Ausdrucksweise und erschafft ihre international bekannten Serien La dame au crâne rasé, 1977-78, Elektrokardiogramm 303/304, 1979, Die graue Wand oder 36 schlaflose Nächte, 1979 und Ball der Einsamkeiten, 1980. In diesen Werken zeigt Manon spielerisch unterschiedlichste Frauenbilder.
1982 folgt ihre dritte Heirat mit dem 18 Jahre jüngeren Sikander von Bhicknapahari, der bis heute ihre technischen Installationen errichtet. Zeitgleich beginnt die Künstlerin einen Entzug, der eine überlebenswichtige Schaffenspause von sieben Jahren einleitet.
1990, in der Lebensmitte, findet die Rückkehr in die Kunstwelt mit der Einzelausstellung Künstler Eingang im Kunstmuseum St. Gallen statt. Die Arbeiten Künstler Eingang und Das Damenzimmer, 1990, sind jetzt auf das Thema der Vergänglichkeit ausgerichtet. Weitere wichtige Arbeiten folgen: La stanza delle donne, 1996, Einst war sie MISS RIMINI, 2003, Borderline, 2008, Hotel Dolores, 2008-2011 und Selbstporträt in Gold, 2012, allesamt Werke, die national und international ausgestellt wurden (Kunsthaus Zürich, Aargauer Kunsthaus, Fotostiftung Schweiz, Museum der Moderne Salzburg, Centre Culturel Suisse Paris, Swiss Institute New York, Palazzo Ducale Genua).
Manon erhält mehrere nationale Preise und Stipendien, u.a. 1975 das Kiefer- Hablitzel-Stipendium für ihr Buch Manonomanie; 1980 das Eidgenössische Kunststipendium; 2008 den Prix Meret Oppenheim; 2013 den Grossen Kulturpreis der St. Gallischen Kulturstiftung.
Aktuell arbeitet die 83-jährige Künstlerin an Werken für die Gruppenausstellung ZEIT im Kunsthaus Zürich (22. September 2023 – 14. Januar 2024). Zeitgleich verfasst sie zwei neue Kunstbücher.
Vergänglichkeit
Das Eingangsbild aus der Serie Hotel Dolores 2008-2011, mit dem Zitat ‘ordre, beauté, luxe, calme et volupté’ (Ordnung, Schönheit, Luxus, Ruhe und Genuss) aus dem Gedicht L’Invitation au Voyage von Charles Baudelaire vom 25. Juni 1857, führt zu den zentralen Themen in Manons Schaffen: Zeitlichkeit, Vergänglichkeit, Melancholie und Sehnsucht. Das 3-jährige Projekt Hotel Dolores, in einem von der Zeit gezeichneten Kurhotel im aargauischen Baden, rückt das Thema der Vergänglichkeit in den Mittelpunkt. «Ich habe diese Räume in einem lamentablen, hochgradig malerischen Zustand gesehen und ich wusste, hier muss ich arbeiten, denn es gibt nichts Besseres als das Abblättern der Tapeten, um Vergänglichkeit zu zeigen». In den grossformatigen Fotografien entschwindet die Künstlerin immer mehr ihren eigenen Bildern, Abbild ihrer eigenen Zeitlichkeit.
Sehnsucht nach der Ferne
Die gezeigten Objekte der Rauminstallation Das Damenzimmer, 1990/96, weisen auf die Themen der Weiblichkeit und die Rolle der Frau hin. Das Werk Arte, 1996, in der Apsis, ist ein mit zarten, rosaroten Marabufedern umwickeltes Kreuz. Es stellt einen Kontrast zum patriarchalen, von Folter und Leiden bestimmten Symbol dar. Manon verleiht ihrem Kreuz eine schützende warme, weibliche Note, wodurch sie dem Leidensaspekt des Kreuzes einen aufbauenden gegenüberstellt, in Form der Kunst. Die vier leuchtenden Muscheln im Saal der Verlobten stellen Objekte der Sehnsucht nach der Ferne dar: «Die Idee kam mir während eines Aufenthalts in Genua. In Souvenirläden kann man kitschige Muscheln kaufen, die zart leuchten». Die Muscheln symbolisieren Weiblichkeit, Sexualität, Fruchtbarkeit, Zurückgezogenheit und Erotik. Durch die Sublimierung der Triebkräfte entsteht Künstlerisch-Schöpferisches: Letteratura, Poesia, Pittura e Surrealismo (Literatur, Dichtung, Malerei und Surrealismus) mit denen die vier Muscheln auf Metall-Plaketten betitelt sind. Sie werden zum ersten Mal in der Schweiz ausgestellt.
Ein Denkmal für die Frauen
Mit Die Geschichte von den ungleichen Schwestern, 1990, schafft Manon durch die Platzierung einer grossen, goldenen Kugel ein Gleichgewicht zu einer von Männern dominierten Welt, in diesem Kontext repräsentiert durch die zahlreichen Männerporträts, die als Fresken im Saal der Verlobten verewigt sind. Der Globus stellt das Vollkommene dar; Gold als wertvolles und mit viel Symbolik versehenes Material ist in diesem Werk eine Würdigung der Schaffenskraft von Frauen. Für Manon hat dieses Werk eine besondere Bedeutung: «Es sind Persönlichkeiten, die zu verschiedenen Zeiten meines Daseins meine Fantasie beflügelt und angeregt haben… Sollte ich eines Tages Gelegenheit haben, all diesen Frauen ein Denkmal zu setzen, werde ich das tun». Die Stillleben, 2017, stehen in der langen Tradition von Darstellungen der Endlichkeit des Daseins seit der Antike. Die Formate sind kleiner und intimer geworden, Manon ist nur noch als Bild im Bild zu sehen, schliesslich als Sujet gänzlich abwesend. Die Künstlerin bleibt weiterhin präsent durch Objekte aus ihrem Leben.
Aujourdhui Madame
Im Innenhof der Casa Ciseri sind drei Plaketten aus der 11-teiligen Installation Aujourdhui Madame, 2016, zu finden.
Bei ihren täglichen Spaziergängen am Zürichsee bemerkte die Künstlerin die lateinischen Bezeichnungen der Bäume. Sie dachte, es wäre schön, wenn Menschen von etwas vollends Unerwartetem überrascht, irritiert und verwirrt und zum Nachsinnen angeregt würden. Bei den neuen Bezeichnungen handelt es sich um Gedankenfragmente und Gefühle, die Manon in ihren Notizbüchern sammelte.