Zeitgenössische Fotografie zwischen Voyeurismus, Exhibitionismus und Überwachung. Die Bieler Fototage fügen die zahlreichen Facetten des brandaktuellen Themas zu einem scharfen Bild zusammen.
Bieler Fototage | Sehen und gesehen werden
Voyeurismus, Exhibitionismus, Überwachung
Bereits nach wenig mehr als 10 Jahren des neuen Jahrhunderts scheint klar, dass es mehr als jedes andere zuvor als eine Epoche der Bilder in die Geschichte eingehen wird – und dass die Bilderflut die heutige Gesellschaft massgeblich prägt. Diese Entwicklung hängt direkt mit neuen Technologien und dem Internet als digitalem – privatem und öffentlichem – Raum zusammen. Das World Wide Web bildet eine bildgewaltige, interaktive Sphäre, die sich durch Foto posts in sozialen Netzwerken und Videobeiträgen von Leserreportern oder Webcams rasend schnell erweitert. Die Multiplikation von Suchmaschinen oder Austauschportalen – Flickr, Facebook, Google Images, um nur einige zu nennen, ermöglichen einen Zugang zu visuellen Ressourcen, der vor einigen Jahren noch unvorstellbar schien. Digitale Bildtechnologien machen es uns nicht nur einfacher, das allzu menschliche Bedürfnis nach dem Blick durchs nachbarliche Schlüsselloch zu befriedigen. Auch Selbstdarsteller, Schnüffler oder Aufpasser finden durch sie ihr Glück. Ob für Behörden oder Privatpersonen: Im 21. Jahrhundert werden Grenzziehungen zwischen privatem und öffentlichem Raum zunehmend schwieriger, urheber- und persönlichkeitsrechtliche Fragen immer komplexer. Die zeitgenössische Fotokunst befindet sich unter diesen Bedingungen in Höchstform.
Trennung zwischen Öffentlichem und Privatem
Seit Beginn des neuen Jahrtausends – Google Images stammt aus dem Jahre 2011, Google Maps und Flickr wurden 2004 lanciert – nutzt die Fotografie die neuen technischen Errungenschaften, verändert sie und eignet sich neue Methoden an – bis zum Punkt, wo der Fotoapparat an den Nagel gehängt und ohne Kamera gearbeitet wird. Was auf dem Computerbildschirm erscheint, wird gesammelt, editiert, verändert, ergänzt und beschnitten. Die grosse Bewegung der Desäkularisierung des Kunstwerks unter gleichzeitiger Betonung der Appropriation und der künstlerischen Auswahl, die um 1900 begann, findet so im neuen Jahrhundert ihre Fortsetzung. Vor allem jedoch hinterfragt die zeitgenössische Fotografie die Grenzen des Sehens, sei es in Bezug auf die Trennung zwischen
Öffentlichem und Privatem, auf die Polarität zwischen Objekt und Subjekt, auf die Rahmen des Rechts oder auf die Erfahrung des Raums. Sind Überwachungskameras demokratische Hüter der Sicherheit oder liegt mit ihnen auch der Missbrauch auf der Lauer? Erschüttert die revolutionäre Kraft von iPhone-Aufnahmen nebst Regierungen auch den (Foto-)Journalismus?