«Meine Eltern wollen uns ihr Lebenswerk vererben. Wir müssen reden. Über Erwartungen und Ideale. Über Privilegien und Lasten. Aber auch über Geld.» So schildert der Schweizer Filmregisseur Simon Baumann, der bereits 2012 mit seinem Dokumentarfilm ZUM BEISPIEL SUBERG für Furore sorgte und mehrere Festivalpreise gewann – die Ausgangslage für seinen neuen Dokumentarfilm. Ein charmantes und humorvolles Porträt seiner Eltern, seiner Familie und den damit verbundenen Erwartungen an die Zukunft.
WIR ERBEN
Ein grandioser Film über die Frage, was von uns bleibt und was wir an unsere Nachkommen weitergeben.
WIR ERBEN | SYNOPSIS
Als Kind hat Filmemacher Simon Baumann seine Eltern im Fernsehen beobachtet, und sich für sie geschämt und sie dennoch bewundert. Sie kämpften als Nationalräte für eine naturnahe Landwirtschaft und verwirklichten später ihre Ideale in einem Hof in Südfrankreich. Weil der abgelegene Hof nicht als Alterswohnsitz taugt, möchten sie ihn nun Simon und seinen Bruder vererben. Für die beiden stellt sich die Frage: Sollen wir weiterführen, was ihre Eltern begonnen haben, oder sie enttäuschen? Dabei ist es nicht das erste Mal, dass die beiden sich gegenüber ihren Eltern positionieren müssen. Während Simons Bruder als Bauer und Nationalrat ihre politischen Kämpfe weiterführt, entdeckt Simon im Filmemachen die Möglichkeit, auf Distanz zu gehen und ihnen doch nahe zu bleiben.
WIR ERBEN | REZENSION
von Madeleine Hirsiger
Eigentlich könnte man meinen: Erben ist schön. Da bekommt man etwas, für das man selber nichts beigetragen hat: ein Haus, Bauland, ein Auto, Wertpapiere, Schmuck, Silberbesteck, eine Oldtimer-Sammlung, Gemälde. Aber wir wissen auch, dass es bei vielen Erbschaften zu Streitigkeiten, ja, zu Feindseligkeiten kommt: Man redet nicht mehr miteinander, die einen erhalten mehr als die anderen, zwei begehren dasselbe – und oft haben die Erbberechtigten schon selbst genug an materiellen Gütern. Absurditäten sind die Folge, die von denen, die nie etwas erben werden, nur schwer nachvollziehbar sind.
Wenn die Moral auf die Erben drückt
WIR ERBEN geht diesem Dilemma auf den Grund. Im Mittelpunkt steht die Familie Baumann. Ruedi, der erste ökologische Bauer im Nationalrat – ein Grüner – und seine Frau Stephanie – einst SP-Nationalrätin – waren in den 1980er-Jahren ein exotisches Paar: engagiert, überzeugend, ehrlich, vorausschauend, präsent in allen politischen Talkshows im Schweizer Fernsehen. 20 Jahre ist es her, seit die beiden von Suberg bei Biel in die französische Einsamkeit geflüchtet sind, also in die EU. «Wenn die Schweiz nicht in der EU ist, dann gehen eben wir in die EU.» In Frankreich bewirtschaftet das Ehepaar Baumann 70 Hektaren Land, ganz und gar ökologisch, auch mit vielen Hecken und Magerwiesen, ein stattliches Gut mit einem gemütlichen Haus. Nicht nur der Traktor, das Lieblingsgerät von Ruedi, auch sie selbst sind in die Jahre gekommen. Sie machen sich ernsthaft Gedanken über das, was ihnen das Alter noch bringen wird. Was tun? Wohin führt die Reise? Wie soll es mit dem Anwesen weitergehen? Vererben? Verschenken? Ja, aber wer um Himmels willen verschenkt Besitz? Für die Baumanns wäre das durchaus eine Option, sie ist Teil ihres politischen Denkens – für Ruedis Frau allerdings mehr als für ihn.
Die Söhne
Die Baumanns haben zwei Söhne: Kilian hat den Hof in Suberg übernommen, bauert ökologisch und sitzt für die Grüne Partei im Nationalrat. Simon ist Filmemacher. Er hat WIR ERBEN realisiert. Darin schaut er zurück auf seine Kindheit und macht sich Gedanken über seine Familie. Simons Film beginnt mit einem Polaroid-Foto von 1980: Er hat eine Kamera aus ungeschliffenem Holz in den Händen, hergestellt von seinem Vater. Die Devise: Man kann alles selber herstellen, muss wenig kaufen, die Kleider für die Kinder sind von Verwandten, die sie nicht mehr brauchen. Simon sagt, seine Mutter hätte immer eine laute Stimme gehabt und sein Vater habe oft den Zeigefinger hochgehalten. Er hätte sich für seine Eltern oft geschämt, sie aber auch bewundert. Simon hat das Grübchen von seiner Mutter geerbt, das bis zum Urgrossvater nachweisbar ist. Kilian ihre Haarpracht.
Die Welt gehört denen, die erben
Wenn das so einfach wäre! Für Simon ist klar: Mit dem Erben kommt der Sinn für Gerechtigkeit und diese beiden Dinge passen nicht so recht zusammen. Wo bleibt die Gerechtigkeit, wenn einige erben, aber andere nicht? Darum wäre verschenken eine Option. Es wird viel diskutiert, hin und her, es ist belastend. Ruedi Baumann ist dezidiert für das Behalten des Anwesens, für die Familie, weil es ein Privileg sei und viele Möglichkeiten biete, gerade auch was die Selbstversorgung betreffe. Er ist Bauer durch und durch. Seine Frau könnte sich eher vom Besitz trennen. Die ungelöste Situation setzt ihr zu. Es sind schwierige Fragen, die im Raum stehen, denn keiner der Söhne, die beide Familie haben, wollen sich für die Übernahme des französischen Gehöfs verpflichten. Auch, weil sie selbst in der Schweiz über Besitz verfügen, wenn auch verschuldet. Darum steht fest: Keiner der beiden Söhne wird nach Frankreich auswandern und das Werk der Eltern weiterführen.
Fazit: Simon Baumann, Autor/Regie/Kamera/Ton, gelingt es, mit einfallsreichen Texten dem Thema «Erben» die Schwere zu nehmen. Ein Thema, das ja auch auf der politischen Agenda unseres Landes steht. Es geht um das Lebenswerk seiner Eltern, um Ideale und Erwartungen, Privilegien und Lasten, um Ethik und schliesslich auch um Geld. Ein interessanter, vielschichtiger Dokumentarfilm, der auch für Leute, die nicht in den Genuss einer grossen Erbschaft kommen, interessant und unterhaltend ist.