Unsere drei «Medaillengewinner» sind Filme, die jeweils eine ganz andere Erzählform verwenden aber alle drei unvergessliche Geschichten erzählen. THE PRINCE OF NANAWA von Clarisa Navas, IRON WINTER von Kasimir Burgess und YALLA PARKOUR von Areeb Zuaiter sind jene drei Filme, die uns das Visions du Réel 2025 ganz besonders intensiv in Erinnerung behalten lassen. Aber natürlich nicht nur! Die Wahl der TOP 3 fiel daher alles andere als leicht.
Visions du Réel 2025 - Unsere TOP 3
Erneut eine Festival mit einem reichhaltigen, anspruchsvollen und zutiefst menschlichen Filmprogramm
UND AUSSERDEM
Drei weitere Filmperlen, die es am Festival zu entdecken gab.
BLAME: Drei Wissenschaftler die während der COVID-19-Pandemie mit Desinformation und Machtspielen konfrontiert werden.
CUTTING THROUGH ROCKS: In einem iranischen Dorf bricht eine mutige Volksvertreterin mit den patriarchalischen Traditionen, indem sie junge Mädchen in das Motorradfahren einführt und dabei riskiert, alles zu verlieren.
ROIKIN <3: Der sensible Weg eines jungen Mannes aus Marseille, der nach Orientierung sucht.
THE PRINCE OF NANAWA
von Clarisa Navas (Argentinien, Paraguay, Kolumbien, Deutschland) – Gewinner des Grossen Preises, verliehen von der Mobiliar
In Nanawa, einer Stadt an der Grenze zwischen Paraguay und Argentinien, trifft Regisseurin Clarisa Navas zufällig auf Ángel, einen Jungen mit scharfen Verstand und einem Herz, das vor Liebe überquillt. Mit entwaffnender Ehrlichkeit teilt Ángel seinen Alltag: seine Träume, seine Verzauberung und seine Empörung über die Ungerechtigkeiten, den Schmutz seiner Stadt und das Unverständnis «der grossen Leute». Wie der Kleine Prinz von Saint-Exupéry erinnert er uns an den reinen und naiven Wunsch, die Welt zu verändern. Er freundet sich mit Clarisa und dem Tontechniker Luca an und durchlebt zehn entscheidende Jahre – von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter -, die von Prüfungen geprägt sind: saisonale Überschwemmungen, unhygienische Verhältnisse, die Covid-19-Pandemie, gewalttätige Strassenkämpfe, Abschiede und Abwesenheiten – wie die seines älteren Bruders, den er erst mit 16 Jahren wiedersieht.
Trotz seiner 221 Minuten wirkt der Film nie lang. Der Film markiert auf brillante Weise den Übergang von der Jugendträumerei zur konkreten Realität des Erwachsenenalters, von den Kinderspielen zu den Herausforderungen des Erwachsenwerdens. Der zweite Teil des Filmes enthüllt einen veränderten, aber immer noch positiven Ángel. Indem Clarisa Navas ihrem Protagonisten eine Kamera in die Hand gibt, fängt sie eine rohe und vibrierende Wahrheit ein. Die Regisseurin hat ein Werk geschaffen, das zu Tränen rührt und uns tief mit diesem Jungen und dem Team, das zu seiner Herzensfamilie geworden ist, verbindet.
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IRON WINTER
von Kasimir Burgess (Australie, Mongolie)*
Im Tsakhir-Tal in der Mongolei, versucht Batbold unter der Führung seines Vaters eine uralte Tradition fortzusetzen: Tausende von Pferden auf die gefrorenen Steppenweiden zu treiben, wo die Temperaturen unter -40°C fallen. Für Batbold und seine Kollegen ist die zerstörerische Kälte, die zu hohen Tierverlusten führt und die Arbeit der Hirten beeinträchtigt, eine Bedrohung für die jahrtausendealte Lebensweise. IRON WINTER lässt uns in die Intimität eines Volkes eintauchen. Wir entdecken die Gesten des Alltags: einen Unterschlupf bauen, Wasser schöpfen, die Kälte überleben. Aber auch die gemeinsamen Momente: Ringkampfspiele, Herausforderungen auf dem Pferd, Gespräche im Schein des Feuers. Diese scheinbar einfachen Dinge offenbaren eine lebenswichtige Verbindung zwischen Mensch und Tier. Sie schulen den Gerechtigkeitssinn, die Komplizenschaft und das Überleben. In Stürmen oder im Angesicht von Wölfen zählt die Kameradschaft unter den Hirten, ihre Kraft. Die Präzision und die Komplizenschaft zwischen Reiter und Pferd werden wesentlich. Hier ist die Erinnerung an Dschingis Khan allgegenwärtig. Auch er baute sein Reich auf, indem er dieser Lebensweise folgte.
Aber was bleibt, wenn all das verschwindet? Die Städte bieten oft nur Desillusionierung: Arbeitslosigkeit, Entwurzelung, Fliessbandarbeit in Bergwerken oder Schlachthöfen. Wo der Züchter das Tier ehrte, wird es später von der Schlachtmaschine zermalmt. IRON WINTER ist eine Hommage an eine Kultur im Widerstand. Ein Liebeslied an die Natur, die Weitergabe von Wissen und den Geist der Nomaden. Eine Ode an diejenigen, die gegen die Kälte und das Vergessen antreten.
YALLA PARKOUR
von Areeb Zuaiter (Schweden, Palästina, Katar, Saudi-Arabien)*
Als Vierjährige reiste Areeb Zuaiter nach Gaza und sah dort zum ersten Mal das Meer. Dieser Moment – die Magie des Meeres und das Lächeln ihrer palästinensischen Mutter – hinterliess einen prägenden Eindruck. Als die Filmemacherin ein Video sieht, in dem junge Männer am Strand von Gaza Parkour laufen, flammt Nostalgie auf. Die Ausgelassenheit der jungen Athleten steht in starkem Kontrast zu in der Ferne wahrnehmbaren Explosionen. Aus dem Bedürfnis heraus, eine Verbindung zu ihrer Vergangenheit herzustellen, nimmt Areeb Kontakt zu den Parkourläufern auf und freundet sich mit Ahmed an. Gemeinsam bewegen sie sich durch das, was von Gaza übrig ist, besuchen einen Friedhof, ein verlassenes Einkaufszentrum und die Überreste eines Flughafens. Mit der Zeit zeigt Ahmed Areeb die ganze Härte des Lebens in Gaza und aus ihrer anfänglichen Neugier erwächst ein tiefes Verständnis für die Probleme, mit denen er konfrontiert ist. Ahmeds Wunsch, sein Heimatland zu verlassen, löst bei Areeb widersprüchliche Gefühle aus, denn sie kennt die emotionale Leere, die eine solche Ausreise mit sich bringen kann. Areebs Reise auf den Spuren der Erinnerung wird zur Erkundung von Identität, Zugehörigkeit und des schmerzhaften Erbes einer zurückgelassenen Heimat. Der Film ist das Zeugnis einer Jugend, die sich unter den Bomben der Vernichtung verweigert. Jede Herausforderung, die sie annimmt, wird zur Bestätigung ihrer Existenz.