Der Film des deutschen Regisseurs Matthias Glasner wurde an der diesjährigen Berlinale mit dem Silbernen Bären für das Beste Drehbuch ausgezeichnet. In STERBEN inszeniert Glasner ein Familiendrama mit einem herausragenden Schauspielensemble. Der Film bewegt sich gekonnt zwischen Humor und Tragik und behandelt dabei die zentralen Themen Familie, Liebe, Alter und Tod. Unser Spielfilm des Monats!
STERBEN
STERBEN | Synopsis
Die Familie Lunies ist schon lange keine mehr: Das Leben hat die Wege von Eltern und Kindern auseinanderdriften lassen. Die betagte Lissy Lunies (Corinna Harfouch) ist mit ihrem dementen Mann überfordert, ihr bleibt krankheitsbedingt selbst nicht mehr viel Lebenszeit. Ihr Sohn Tom (Lars Eidinger) ist Dirigent und eine Art Ersatzvater des neugeborenen Kindes seiner Ex-Freundin. Aktuell arbeitet er mit seinem besten Freund an der Aufführung von dessen Komposition «Sterben». Dabei geraten sich die beiden immer wieder in die Haare. Toms Schwester Ellen (Lilith Stangenberg) beginnt währenddessen eine Affäre mit einem verheirateten Mann und verfängt sich in einem unumkehrbar scheinenden Liebes- und Cocktail-Rausch. Als der Tod in fast schon grotesk vielen Erscheinungen und Formen an die Türen aller klopft, begegnen sich die Familienmitglieder wieder.
STERBEN | Weitere Stimmen
«Allein schon die Probeszenen für das Stück «Sterben» mit Orchester und Kinderchor, samt neurotisch selbstverzweifelndem Komponisten sorgen dafür, dass sich der Film nie so ernst nimmt, dass das Publikum darauf verzichten könnte.» Michael Sennhauser, sennhausersfilmblog.ch | «Wie es das Sterben halt so mit sich bringt, ist alles furchtbar bitter. Aber wie Glasner die Sichtweisen in den Kapiteln dieses Felsen von einem Film immer wieder wechselt und trotzdem die Fäden der Handlung zusammenhält, ist grossartig.» – Roland Meier, outnow.ch | «Eines der ersten Film-Meisterwerke des Jahres kommt aus Deutschland: Sterben bietet 3 Stunden voller Schocks, derber Witze und Lars Eidinger.» – Patrick Reinbat, moviepilot.de
STERBEN | Rezension von Geri Krebs
Direkt, unverblümt, explizit
In seiner Direktheit ist STERBEN ein sehr deutscher Film. Das zeigt sich bereits in der Eröffnungsszene. Diese nimmt den Filmtitel wörtlich und man spürt drastisch, wie es sein kann, wenn das Ableben in nicht mehr allzu weiter Ferne liegt. Eine halbnackte ältere Frau sitzt zusammengesunken auf einem weissen Teppich, ihr linker Oberschenkel ist mit Kot verschmiert. Eine jüngere Frau taucht auf, offenbar eine Nachbarin. Sie beklagt sich über den Mann der älteren Frau. Dieser gesellt sich dazu, fast nackt und nur notdürftig mit einem offenen Hemd bekleidet. Er ist offensichtlich verwirrt. Die ältere Frau und der ältere Mann heissen Lissy (Corinna Harfouch) und Gerd (Hans-Uwe Bauer). Sie sind ein Ehepaar in den Siebzigern und beide schwer krank. Lissy hat Diabetes und Krebs, Gerd ist dement.
Sie haben zwei erwachsene Kinder, Tom (Lars Eidinger) und Ellen (Lilith Stangenberg). Mit Tom telefoniert Lissy schon in den ersten Filmminuten. Man erfährt bruchstückhaft, dass der Sohn nicht nur viel Arbeit, sondern auch eine komplizierte Beziehung hat. Offenbar bekommt Toms Exfrau ein Baby. Wer der Vater ist, weiss man allerdings nicht so genau. Von Beruf ist Tom Dirigent, er studiert gerade mit einem Sinfonieorchester in der Berliner Philharmonie die Komposition «Sterben» ein. Geschrieben hat das Werk Toms guter Freund Bernard, eine hoch empfindsame Künstlerseele, so mimosenhaft wie grössenwahnsinnig. Als wenn der schrägen Gestalten nicht genug wären, ist da auch noch Tochter Ellen, Zahnarztassistentin und dem Alkohol ziemlich zugetan. Mit ihrem Bruder und ihren Eltern ist sie in inniger Hassliebe verbunden. Der Hass zwischen Tom und seiner Mutter ist allerdings noch eine Runde ausgeprägter. Dies manifestiert sich später im Film in einer langen Konversation, in der sich Mutter und Sohn – nachdem Gerd gestorben ist – ihre gegenseitige abgrundtiefe Abneigung gestehen.
Willkommen in einer gediegen dysfunktionalen deutschen Familie!
Unterteilt in fünf Kapitel, die zwar fliessend ineinander übergehen, aber jeweils die Perspektive einer anderen Figur vermitteln, erzählt Matthias Glasner vom Leben, Ableben und Weiterleben seiner Hauptfiguren. Ein «Universum», das uns in vieler Hinsicht vertraut ist und direkt aus dem Leben gegriffen scheint: der Tod der Eltern, komplizierte Liebesbeziehungen, finanzielle Sorgen, das schwierige Leben als Künstler. «Der schmale Grat» heisst eines der Film-Kapitel. Darin spielt der Regisseur auf die feine Linie zwischen Normalität und Wahnsinn an. Aber auch darauf, dass es im Film immer wieder Momente gibt, in denen der durchweg ernste, sehr existenzielle – und oft bewusst überexplizite – Hintergrund der Geschichte unvermittelt ins Absurde, irr Komische kippt. Matthias Glasner eröffnet damit ganz neue Räume um diese dann aber auch wieder unvermittelt zu schliessen. «Für meine Familie, die Lebenden und die Toten», heisst es am Ende des Films. Wie viel Autobiografisches in ihm steckt, verrät schliesslich eine Formulierung nach der Aufzählung des Cast: «und Hans Uwe-Bauer als mein Vater». Das ist nicht mehr nur explizit, sondern bereits grenzwertig. Matthias Glasner hat sich für STERBEN ziemlich unverblümt bei seiner eigenen Geschichte und der seiner Familie bedient.
Fazit: STERBEN ist in seiner Explizitheit und in der Art und Weise wie der Film seinen Titel ernst nimmt sehr deutsch. Mit seiner klug fragmentierten Erzählweise und mit seinen wiederholt bewusst an die Schmerzgrenze gehenden, extremen Szenen überdreht Matthias Glasner die Handlung aber geschickt, so dass daraus brachiale Komik und – in den besten Momenten des Films – wohltuender schwarzer Humor entsteht. Unser Spielfilm des Monats!