Laurent Nègre, der in der Schweizer Filmlandschaft langsam wirklich kein Unbekannter mehr sein sollte, will mit «A Forgotten Man» an ein unrühmliches Kapitel der Schweizer Geschichte erinnern. Und das zu einer Zeit, in der es wieder wichtig wird, seine Vergangenheit zu kennen. Vielleicht war es Schicksal, dass er seinen Film nicht früher schon herausbringen konnte. Im Interview mit arttv-Filmjournalist Geri Krebs erklärt der Regisseur, wieso er an seinem Projekt festhielt.
«Schweigen ist für mich etwas sehr Schweizerisches»
- Publiziert am 31. Januar 2023
Er ist ein Regisseur, der seine Vorliebe für das Politische mit seinem Sinn für Schwarzen Humor gekonnt auf einen filmischen Nenner bringt.
Den 1973 in Genf geborenen Regisseur, Drehbuchautor und Produzenten Laurent Nègre muss man etwas ausführlicher vorstellen, gehört er doch zu den weniger bekannten Schweizer Filmschaffenden seiner Generation. Und dies, obwohl sein erster und sein aktueller neuester Spielfilm je eine Nomination für den Schweizer Filmpreis erhielten und Nègre ausserdem vor zwanzig Jahren zusammen mit Dan Wechsler, einem ehemaligen Manager und Freund aus frühen Jugendtagen, in seiner Heimatstadt die Filmproduktionsfirma Bord Cadre Films gegründet hat. Anlass zur Gründung der Firma war Nègres erster langer Spielfilm gewesen, «Fragile», ein ätherisches Werk um eine von Marthe Keller gespielte, noch keineswegs alte Frau, die auf ihre beginnende Alzheimer-Erkrankung den Freitod wählt. Niemand hatte den Film damals produzieren wollen und dennoch erhielt die Darstellerin im Jahr nach der Veröffentlichung beim Schweizer Filmpreis eine Nomination für die beste Schauspielerin. Spätestens von da an war die Filmszene aufmerksam geworden auf den Regisseur, aber auch auf die Produktionsfirma, die sich im Laufe der Jahre langsam zu einer der wichtigen Adressen des internationalen Arthouse-Kinos entwickelte.
Gut fünfzig lange Spielfilme und zahlreiche Kurzfilme hat Bord Cadre Films in den letzten zwanzig Jahren koproduziert. Darunter Titel wie «Vergine giurata» und «Figlia mia» der Italienerin Laura Bispuri, «Pájaros de verano» des Kolumbianers Ciro Guerra oder «Nuestro tiempo» des Mexikaners Carlos Reygadas. Sie alle sind Filmschaffende, die schon seit geraumer Zeit an den wichtigsten Festivals der Welt zur obersten Liga gehören. Und mit «Triangle of Sadness» von Ruben Östlund, dem letztjährigen Palme d’Or-Gewinner von Cannes und dem Berlinale-Gewinner von 2021, «Bad Luck Banging or Loony Porn» des Rumänen Rudu Judes, den sie ebenfalls koproduziert haben, ist die Firma in höchsten Höhen angelangt. Zwar schied Laurent Nègre bereits 2014 formell aus deren operativem Geschäft aus, doch er bleibt Bord Cadre Films weiterhin verbunden, denn sein neuester Film, «A Forgotten Man», wurde auch wieder von ihr produziert.
In seinen vorherigen Filmen hatte sich Nègre als Meister eines satirischen Humors in den Gefilden der schweizerischer Politik bewiesen. So in seinem bis anhin letzten Film, «Confusion» (2015), einer Mockumentary um eine Stabschefin des Genfer Sicherheitsdepartements, die unter höchster Geheimhaltung einen Guantanamo-Häftling chinesischer Abstammung am Flughafen in Empfang nehmen soll. Der Film fällt mit ätzendem Spott nicht nur über den Politbetrieb der Schweiz, sondern auch über deren Filmszene her. Denn als Nebenstrang der irrwitzigen Geschichte dürfen zwei Filmstudenten die Stabschefin bei ihrer delikaten Mission filmisch begleiten, wobei einer der beiden einmal bemerkt: «Es ist doch toll, wenn man so wie dieser Jean-Stéphane Bron jemandem aus dem politischen Leben hinterherfilmen darf» – ein Seitenhieb auf Brons Erfolgsfilme «Mais im Bundehuus» und «L’éxpérience Blocher».
Fünf Jahre vor «Confusion», der leider in den Kinos floppte, hatte Laurent Nègre mit der Actionkomödie «Opération Casablanca» einen Film um einen maghrebinischen Sans-Papier realisiert. Der Mann, der sich als Latino ausgibt, gerät unversehens in das Komplott eines islamistischen Terrorkommandos in Genf und stolpert dabei vom Regen in die Traufe. Den vor wahnsinnig komischen Einfällen und einem Sammelsurium schrägster Figuren strotzenden Film bezeichnete damals die NZZ als «eine der originellsten Filmkomödien eines Schweizer Regisseurs». Vor diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher, dass Laurent Nègre für «A Forgotten Man» lange niemanden fand, der den Film produzieren wollte, über den er vor genau acht Jahren, anlässlich der Premiere von «Confusion» an den Solothurner Filmtagen gesagt hatte: «Ich möchte einen Film über Hans Frölicher drehen, der in Berlin während des Zweiten Weltkriegs Gesandter der Schweiz war. Es wird, wenn wir das Projekt finanzieren können, eine Adaptation von Thomas Hürlimanns Theaterstück ‹Der Gesandte›.»
Text: Geri Krebs
Laurent Nègre im Interview
Von Geri Krebs
Herr Nègre, als «A Forgotten Man» am vergangenen Zurich Film Festival Premiere hatte, gab es manche Leute, die sich fragten, warum Sie dreissig Jahre nach Veröffentlichung von Thomas Hürlimanns Theaterstück diesen Stoff nun noch filmisch verarbeiteten. Ist das nicht etwas spät?
Ich möchte zuerst betonen, dass ich «A Forgotten Man» im Abspann nur: inspiriert von «Der Gesandte» nenne, und nicht mehr eine ‹Adaptation› des Theaterstücks, wie ursprünglich geplant.
Sie kannten den Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann persönlich. Wie reagierte er auf Ihre Idee einer filmischen Adaptation?
Ja, ich lernte Thomas Hürliman 2010 bei einer Literaturveranstaltung in Genf kennen. Schon davor hatte
ich von seinem Stück «Der Gesandte» gehört, aber richtig gepackt hat mich das Thema damals anlässlich dieses Events. Thomas Hürliman begeisterte sich auch rasch für meine Idee, aus seinem Stoff einen Film zu machen. Darauf hatten wir dann zwar regelmässig Kontakt, aber er versandete im Lauf der Zeit.
Warum liess sich die ursprüngliche Idee nicht realisieren?
Nun, da müssen Sie die Filmförderer beim Bund, beim Kanton Genf und bei der Lotterie Romand fragen. Bei all diesen Stellen sind wir mit unseren Fördergesuchen mehrfach abgeblitzt.
Haben Sie eine Erklärung dafür?
Nein, man hat mir lediglich zu verstehen gegeben, dass man glaube, diese alte Geschichte interessiere wohl kaum mehr jemanden.
Verstehen Sie diese Argumentation?
Ich denke, dass man sich eher hinter ihr versteckte, um nicht sagen zu müssen, dass man nun endlich lieber nichts mehr hören möchte über dieses schändliche Kapitel der jüngeren Schweizer Geschichte. Als mir dann klar war, dass ich den Film nicht in der geplanten, relativ aufwändigen Form eines Historiendramas realisieren konnte, begann ich mich Stück für Stück von der Vorlage zu entfernen.
In welchen Dingen unterscheidet sich Ihr Spielfilm von der ursprünglichen Vorlage des Theaterstück?
Die Geschichte mit Maurice Bavaud, dem verhinderten Schweizer Hitler-Attentäter, der 1938, kurz nach dem Dienstantritt Frölichers – der im Film Hans Zwygart heisst – verhaftet und 1941 hingerichtet wurde, spielt bei Thomas Hürlimann keine Rolle. Ich wollte mit «A Forgotten Man» wieder einmal an diesen Helden erinnern, den Frölicher schändlich ignorierte und keinen Finger für ihn rührte. Frölicher hat zu Bavaud einfach geschwiegen, und dieses Schweigen ist für mich etwas sehr Schweizerisches. Ein weiterer Unterschied zum Theaterstück ist, dass ich einen viel satirischeren Ton bei dieser Figur des eitlen und opportunistischen Botschafters anschlage, als dies bei Hürlimann der Fall war. Und ich glaube, dass der Film heute viel aktueller ist als damals, als wir daran arbeiteten.
Wieso sind sie der Meinung, dass wir uns heute wieder mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigen müssen?
Ein zentrale Frage ist ja die, der Schweizer Neutralität. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs ist sie wieder stark in den Vordergrund gerückt und man hat dabei heute bisweilen das Gefühl, die Schweiz habe aus dem Zweiten Weltkreig nichts gelernt. Man schaue sich doch nur Mal an; ein Herr Blocher ist heute daran, eine Initiative zu starten, welche die Neutralität, so wie sie die Schweiz im Zweiten Weltkrieg praktizierte, für alle Zeiten in Stein meisseln will.
Verglichen mit ihren beiden vorherigen Filmen, «Confusion» und «Opération Casablanca», schlägt «A Forgotten Man» einen viel ernsteren Ton an …
Da möchte ich widersprechen. Natürlich hat der Film mit der Tragödie von Maurice Bavaud, der den Botschafter wie ein böser Schatten ständig verfolgt, einen ernsten Hintergrund. Aber die Figur des Botschafters und seine ganze Familie habe ich ja bewusst satirisch und mit Schwarzem Humor überzeichnet. Ich liebe Politik und Schwarzen Humor, und diese Vorlieben werde ich auch in zukünftigen Projekten pflegen.