Der Dokumentarfilm wurde bei der Berlinale 2024 zum besten Dokumentarfilm gekürt und bei Visions du Réel mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. Gedreht haben ihn vier palästinensisch-israelische Aktivisten als Kollektiv: Der Filmemacher Basel Adra, der seit seiner Kindheit die Besetzung und Zerstörung seines Dorfes im Westjordanland dokumentiert, wird in seinem Engagement von Yuval, einem jungen israelischen Journalisten, unterstützt.
NO OTHER LAND
NO OTHER LAND | SYNOPSIS
Fünf Jahre lang arbeiten Basel Adra und Yuval Abraham als Team zusammen, um die Stimme eines Dorfes und seiner Bewohner:innen hörbar zu machen, die täglich wiederkehrenden Gewaltausbrüchen ausgesetzt sind. Aus diesem unwahrscheinlichen Bündnis entstand ein beeindruckender Film.
NO OTHER LAND | STIMMEN
«Ein aufrichtiger, aufwühlender Protest gegen die israelische Besatzung des Westjordanlandes.» – Variety | «Zeugenschaft ist die wirksamste Verteidigung, welche die Menschen gegen die Besatzung haben, und das israelische Militär wird, wie alle Diebe, schwach, wenn es beobachtet wird. Das Filmmaterial existiert, und selten wurde es in einer prägnanteren, kraftvolleren und vernichtenderen Form zusammengetragen als hier.» – IndieWire | «Die Filmarbeit des Kollektivs zeigt, wie eine gemeinsame Auseinandersetzung aussehen kann, die derzeit vor allem in Freund-Feind-Denken diskutiert wird. Es geht in NO OTHER LAND nicht ums Agitieren für ein bestimmtes politisches Programm, sondern um Handlungsfähigkeit, Widerstand und die kleine Hoffnung, dass Bilder aufrütteln können.» – akweb.de
Zum Auftakt von LET’S DOC! und als Vorschau auf das jüdische Filmfestival YESH! findet am Sonntag, 3. November 2024 im Riffraff Zürich eine Matinéevorführung von NO OTHER LAND statt. In deren Anschluss werden die beiden Regisseure Basel Adra und Yuval Abraham für ein Q&A per Video zugeschaltet. Danach tourt der Film durch die ganze Schweiz.
Rezension
Von Doris Senn
Dies vorweg: Der Film ist schwer auszuhalten. Es geht um Israel und Palästina. Es geht um himmelschreiende Ungerechtigkeit. Um alltägliche Gewalt gegen Zivilist:innen. Es geht um gewaltlosen Widerstand und die Verweigerung jeglichen Menschenrechts. Im Zentrum zwei Aktivisten: der palästinensische Basel Adra, der für das Überleben seiner Familie und der angestammten palästinensischen Dörfer kämpft und im Bild alle Übergriffe von israelischer Seite festhält und öffentlichmacht. Mit ihm der jüdische Yuval Abraham, der als Journalist die Hausräumungen und die Angriffe von Militär und Siedlern auf die palästinensischen Dörfer denunziert.
Schreiendes Unrecht
Die lange Kolonne von Baggern, Panzern und militärischen Geländewagen, die durch das Berggelände von Masafer Yatta im Westjordanland kurvt, fasst das Drama in ein aussagekräftiges Bild. Das historisch angestammte Dorfland wurde von Israel willkürlich zu militärischem Übungsgelände erklärt. Eine Klage wurde erst 22 Jahre lang vertrödelt, um sie schliesslich abzulehnen. In der Zwischenzeit werden Protestierende von Militärs oder bewaffneten Siedlern verspottet, verhaftet oder niedergemäht. Auch solche Aufnahmen sind im Film. Die beiden Aktivisten zeichnen selbst für Regie, Drehbuch, Schnitt und Produktion von NO OTHER LAND – zusammen mit Hamdan Ballal und Rachel Szor. Der Film umfasst zum Teil rohe Dokumentaraufnahmen, teils mit Handy, teils mit Kamera, gedreht. Erzählt wird die über die jüngsten Jahre fortschreitende Vertreibung, wenn nicht behördliche Auslöschung des palästinensischen Volks im südlichen Westjordanland. Schulen werden niedergerissen, Brunnen zugeschüttet, Wasserleitungen gekappt und Elektrotürme gefällt. Nebst der Zerstörung von Privathäusern samt Hühnerhof und Schafkoppel. Der Film wurde im Oktober 2023, vor dem Massaker der Hamas, fertiggestellt – nimmt aber noch in einem kleinen Epilog Bezug darauf.
Hoffnung und Kampfgeist – trotz allem
Was an NO OTHER LAND am meisten besticht – und den Film zu einem eindringlichen Dokument macht, ist nicht nur die Freundschaft zwischen den beiden Aktivisten und die Offenheit der dörflich-palästinensischen Community. Es ist auch der Überlebenswille der Frauen, Kinder, Männer, die eigentlich nichts anderes wollen, als ein Leben in Frieden auf dem ihnen angestammten Land. So berührt, dass es neben herzzerreissenden Szenen immer wieder kleine, stille Einstellungen – nicht ohne Humor – gibt: etwa wenn die Kinder selbstvergessen spielen, die Erwachsenen versuchen, ihnen, trotz allem, ein Aufwachsen in Unbeschwertheit zu ermöglichen. Oder die Männer abends ums Feuer sitzen und für einen kurzen Moment das Zusammensein geniessen. NO OTHER LAND ist nicht zuletzt ein Appell an die Menschlichkeit, für Versöhnung und ein friedliches Miteinander.
Fazit: Der bereits mit vielen renommierten Preisen ausgezeichnete NO OTHER LAND widmet sich einem Brennpunkt der aktuellen Weltpolitik. Er verknüpft Politdokumentation mit der persönlichen Geschichte eines der Protagonisten, Basel Adra. Er übernahm den Aktivismus schon von seinem Vater und kämpft bereits sein ganzes Leben um Land und Leben sowie um Gerechtigkeit für seine Gemeinschaft. Trotz all der grausamen Geschehnisse, deren Augenzeug:innen wir werden, lässt der Film Hoffnung aufflimmern. Er erzählt von Menschlichkeit, Solidarität, dem Glauben an Gerechtigkeit, von Freundschaft – über alles Trennende hinweg. Umso wichtiger in einer Zeit bedingungsloser Konfrontation, in der jegliche Kritik am Vorgehen des Staates Israel in einer Verdrehung der Tatsachen als «Antisemitismus» diffamiert und erstickt wird.