Für den 56-jährigen Regisseur Mano Khalil ist das Realisieren von Filmen mehr als nur eine Leidenschaft: Es ist sein Leben. Sein filmisches Schaffen hat immer etwas mir seiner Geschichte als syrischer Kurde zu tun. Und das macht Mano Khalil so glaubwürdig. Das gilt in besonderem Masse auch für seinen Spielfilm NACHBARN. Mano Khalil realisiert Filme, weil er etwas von seinem Leben und seinen Geschichten in die Welt hinaus tragen will, um die Menschen einander näher zu bringen.
NACHBARN
NACHBARN | SYNOPSIS
In einem syrischen Grenzdorf in den frühen 1980er-Jahren erlebt der kleine Sero sein erstes Schuljahr. Er spielt freche Streiche mit seinen Kameraden und muss gleichzeitig erleben, wie die Erwachsenen um ihn herum immer mehr von nationalistischer Willkür und Gewalt erdrückt werden. Ein neuer Lehrer kommt ins Dorf und mit ihm ein sehr rauer Wind. Bald wirkt sich seine antisemitische Lehre auf die gesamte Gemeinschaft aus. Mit feinem Gespür für Humor und Satire zeichnet Regisseur Mano Khalil das Bild einer Kindheit, die unter der Assad-Diktatur auch leichte Momente findet. Der Film ist inspiriert von seinen persönlichen Kindheitserlebnissen und spannt die berührende Erzählung bis in die syrische Tragödie der Gegenwart.
Rezension von Madeleine Hirsiger
Wir befinden uns in einem kleinen syrischen Dorf an der Grenze zur Türkei in den frühen 80iger Jahren. Es ist ein sympathischer Ort mit einer Dorfgemeinschaft, die sich versteht, mitten in einer unwirtlichen Umgebung mit viel Sand und gleissender Sonne. Mittelpunk der Geschichte ist der kleine Sero, ein aufgeweckter, witziger und mit einer Portion Frechheit ausgestatteter Junge, der im winzigen Klassenzimmer sein erstes Schuljahr beginnt und von einem Fernseher und Cartoons träumt. Ein neuer Lehrer kommt ins Dorf, der nur eine Aufgabe hat: die Klasse zu strammen und aus den Kindern syrische Genossen zu machen, die den Führer Hafiz al-Assad verehren. Die kurdische Sprache wird verboten, Arabisch ist angesagt und der Hass auf die jüdische Religion wird den Kindern mit brutalen Mitteln eingehämmert. Das geht Sero nicht in den Kopf, seine Nachbarn sind doch liebenswerte Juden. Auch vom Unterricht versteht er nichts, weil er die arabische Sprache zuerst lernen muss. Man spürt die bevorstehenden Veränderungen, leise erzählt, ohne Zeigefinger. Von seinem Grossvater hört Siro, wie einst alle Leute friedlich zusammengelebt hätten, ohne Stachelzaun und Grenzposten. Das war zur Zeit bevor die Engländer und Franzosen begonnen hätten, das Land auseinander zu reissen. «Was wäre dein Leben ohne Israel?» fragt der Grossvater einmal den Lehrer, ohne die Antwort abzuwarten. «Nichts, denn in deinem Kopf gibt es keine andern Gedanken als die Zerstörung Israels».
Als Zuschauer*in wird man Zeuge, wie die Dorfbewohner in die Zwickmühle des aufkommenden Hasses geraten, wie die Mutter von Sero stirbt, weil zwei gelangweilte Soldaten an der Grenze mit dem Gewehr herumhantieren und sich ein Schuss löst, wie die unverheiratete und schon 30jährige Hannah ihre jüdischen Familie und das Land verlassen soll, um anderswo ein neues Leben beginnen zu können. Aber wie kommt sie zu einem Pass? Oder wie sich die junge Frau des alten Onkels Ali gegen das gewalttätige Verhalten ihres Mannes erfolgreich wehrt. Es sind Schicksale, die für die aufkommenden Konflikte, für das Unverständliche und Unerträgliche in dieser Region stehen. Mano Khalil zeigt uns im Kleinen, was für die grossen Zusammenhänge steht.
Es sind klare, in warmen Tönen gehaltene Bilder, die der Schweizer Kameramann Stéphan Kuthy gedreht hat und der Regisseur zeigt uns einmal mehr, wie emphatisch und gekonnt er mit seinen Hauptfiguren umgeht. «Nachbarn» ist eine feinfühlig erzählte Geschichte über eine Dorfgemeinschaft, die versucht, trotz aller Widerwärtigkeiten weiter zu machen. Mano Khalil realisiert Filme, weil er etwas von seinem Leben und seinen Geschichten in die Welt hinaus tragen will, um die Menschen einander näher zu bringen. Es geht um Verständnis und Versöhnung. Und das macht er erfolgreich und mit Bravour!
Madeleine Hirsiger, arttv