Bettina Oberli und Gitta Gsell sind zwei der profiliertesten Schweizer Autorenfilmerinnen. Beide haben letztes Jahr zwei neue Filme gedreht. Die Regisseurinnen entstammen unterschiedlichen Generationen und haben den Schweizer Film in den letzten Jahrzehnten wesentlich mitgeprägt. Bisher haben sich ihre Wege nicht gekreuzt, sie kannten sich nur über ihre Filme. Im arttv Interview mit Geri Krebs kommen sie ins Gespräch.
Interview | Bettina Oberli und Gitta Gsell
- Publiziert am 22. September 2020
Gitta Gsell, 1953 in Zürich geboren, hat ihre künstlerischen Wurzeln in bildender Kunst, Fotografie, Performance und Tanz. Von 1979-89 lebte sie in New York, realisierte in jener Zeit diverse Kunstprojekte, Experimentalfilme und multimediale Theaterarbeiten. 1997 drehte sie in der Schweiz ihren ersten langen Kinospielfilm «Propellerblume» eine bittersüsse Liebeskomödie aus dem Künstlermilieu. Der Film erzielte einen Achtungserfolg und war 1998 für den damals ganz neu ins Leben gerufenen Schweizer Filmpreis nominiert. Noch grössere Bekanntheit erreichte Gitta Gsell nach ihrer definitiven Rückkehr in die Schweiz dann mit ihren Musikdokumentarfilmen «Irene Schweizer» (2005), «Bödälä» (2010) und «Melody of Noise» (2016). «Bödälä» erhielt 2010 den Publikumspreis an den Solothurner Filmtagen. Mit «Beyto», einem schwulen Liebesdrama um einen türkischen Secondo in der Schweiz, hat Gitta Gsell nach «Propellerblume» wieder einen Kinospielfilm realisiert. «Beyto» lieft am ZFF im «Fokus Wettbewerb», der zwölf Filme aus den drei deutschsprachigen Ländern umfasst. Es ist geplant, dass «Beyto» nach der Pandemie nochmals ins Kinoprogramm aufgenommen wird.
Bettina Oberli, 1972 in Interlaken geboren, studierte nach einer Ausbildung zur Primarlehrerin von 1995-2000 an der 1991 gegründeten Zürcher Hochschule der Künste (ZhdK) Film. Bereits ihr erster langer Spielfilm «Im Nordwind» (2004), ein Drama um einen seine Arbeitslosigkeit verbergenden Familienvater, wurde in den Wettbewerb des Filmfestivals San Sebastián eingeladen. Ihr zweiter Spielfilm, «Die Herbstzeitlosen», 2006 auf der Piazza Grande in Locarno uraufgeführt, avancierte in der Folge zum zweiterfolgreichsten Schweizer Film überhaupt. 2018 kehrte Bettina Oberli mit dem Beziehungsdrama «Le vent tourne» erneut auf die Piazza in Locarno zurück. In den Jahren davor hatte sie die Spielfilme «Tannöd» (2009), «Lovely Louise» (2013), sowie die TV-Miniserie «Private Banking» (2017) und darüber hinaus unter anderem zwei Kurzfilme und Theaterarbeiten realisiert. Mit ihrem neuen Spielfilm «Wanda, mein Wunder», einer Tragikomödie um eine polnische Pflegerin eines Patriarchen in einer Zürichseevilla, wurde das 16. ZFF offiziell eröffnet. Seit 2010, als Michael Steiners «Sennentuntschi» das Festival eröffnete, war «Wanda, mein Wunder» der erste Schweizer Eröffnungsfilm am ZFF. «Wanda, mein Wunder» kommt am 1. April 2021 in unsere Kinos.
Wie hat sich die Pandemie und der Lockdown auf Ihre Arbeit ausgewirkt, respektive sie beeinträchtigt?
Bettina Oberli: Sehr stark, ich war im März 2020 gerade in der Endphase der Vorbereitung für meine erste Operninszenierung, Tschaikowskys «Eugen Onegin», am Luzerner Theater, als der Lockdown verkündet wurde – vier Tage bevor die Premiere hätte stattfinden sollen. Meinen neuen Film «Wanda, mein Wunder» hatte ich zu jener Zeit bereits fertiggestellt, seine Weltpremiere hätte im April in New York am Tribeca Film Festival über die Bühne gehen sollen. Das Festival fand dann ausschliesslich online statt, und das nur in sehr eingeschränktem Rahmen. In meinem Fall hiess das, «Wanda, mein Wunder» konnten nur die Mitglieder der Jury und einige Medienvertreter sehen, seine Weltpremiere vor Publikum feierte er dann am ZFF.
Gitta Gsell: Wir waren beim ersten Shoutdown in Bern und Umgebung mitten drin in Postproduktion, Sounddesign und Color Grading von «Beyto» und am Schneiden meines neuen Projektes; eines Dokumentarfilms über die Camera obscura, als plötzlich alles stillstand. Ich arbeitete also intensiv am Schnitt des neuen Projekts weiter, hatte dauernd Zoom-Meetings mit meinen Mitarbeitern, reiste aber auch öfter in leeren Zügen herum. Doch mit der Zeit wurde das ziemlich mühsam, mir schlug das auch aufs Gemüt – und ich war sehr froh, dass sich mit dem Zurich Film Festival (ZFF) im Herbst 2020 ein Fenster geöffnet hatte, mit «Beyto» endlich herauszukommen, nach so vielen Monaten der Ungewissheit. Meine wichtigste Erfahrung in der Zeit des Lockdowns war aber die Erkenntnis: Wir sind hier in der Schweiz nicht im sicheren Hafen.
Bettnia Oberli und Gitta Gsell ihre Film «Wanda mein Wunder» und «Beyto» feierten beide ihre Premiere am ZFF. Welches sind Ihre bisherigen Erfahrungen mit dem Zürcher Festival?
Bettina Oberli: Ich kenne das Festival eigentlich vor allem als Zuschauerin. Es war das erste Mal, dass ein Film von mir dort gezeigt wurde, ich war einzig 2007, an der 3. Ausgabe in der internationalen Jury. Den Festivaldirektor Christian Jungen kenne ich schon seit Langem, aus seiner Zeit als Filmjournalist. Ich habe nun gewisse Hoffnungen, dass unter seiner Leitung dem Arthouse Kino am ZFF noch mehr Platz als bisher eingeräumt wird – das Programm 2020 versprach in dieser Hinsicht ja schon viel. Was die Präsenz meines Films am Festival betrifft, so passt er natürlich nur schon deshalb gut, weil er in der Umgebung von Zürich spielt.
Gitta Gsell: Für mich ist das ZFF Neuland. Ich kannte das Festival bisher nur als gelegentliche Besucherin, ich bin sehr froh, dass «Beyto» so gut aufgenommen wurde.
Das Festival trumpfte damit auf, dass der Anteil neuer Filme, die von Frauen realisiert wurden, mit 38,6 Prozent ungewöhnlich hoch ist. Spielt das für Sie eine Rolle?
Gitta Gsell: Ich entstamme einer Generation, die es noch erlebt hat, als Frau in der Filmwelt ein ziemlich exotisches Wesen zu sein. In den USA bewegte ich mich in der Welt des Experimentalfilms, dort war zwar die totale Dominanz der Männer etwas weniger ausgeprägt, aber als ich dann 1990 in die Schweiz zurückkam, war das anders. Schlimm war vor allem, dass es nicht nur sehr wenige Frauen in der Schweizer Filmszene gab, sondern dass in meiner Generation diese immer weniger wurden. Zwar gab es in der Westschweiz Jacqueline Veuve, Patricia Plattner oder Léa Pool – die aber bald nach Kanada auswanderte – oder in der Deutschschweiz Marlies Graf und Gertrud Pinkus. Doch gerade Letztere beide verlegten sich nach einigen Erfolgen, die sie in von den 1970ern bis Anfang der 1990er hatten, danach auf andere Gebiete als auf Kinofilme.
Für Ihre Generation Bettina Oberli, präsentierte sich die Situation ja dann schon etwas anders.
Bettina Oberli: Ja, das stimmt. Aber ich kann mich auch noch erinnern, dass ich 1994, als ich das erste Mal als Zuschauerin an den Solothurner Filmtagen war, «Mouvements du désir» von Léa Pool sah. Und damals war es immer noch etwas Besonderes, wenn ein Film von einer Frau realisiert wurde. Als ich dann im darauffolgenden Jahr meine Ausbildung an der ZHdK begann, erlebte ich allerdings eine ziemlich andere Umgebung: Die Schule wurde von zwei Frauen geleitet und eine Filmklasse vor mir bestand sogar ausschliesslich aus Frauen. Man muss aber auch dazu sagen, dass es damals überhaupt erst sehr wenige Leute gab, die eine Filmausbildung absolvierten. Aber es waren Institutionen wie die ZHdK, die einen wesentlichen Anteil daran hatten, dass sich die Situation in Bezug auf Frauen im Schweizer Film zu ändern begann. Und gerade beim Spielfilm sind heute ein paar Absolventinnen der ZHdK, die meiner Generation angehören, herausragend: Sabine Boss, Anna Luif, Andrea Štaka – oder von der jüngeren Generation Lisa Brühlmann. Wichtig für die weitere Entwicklung waren dann aber auch jene Studien, die in den letzten Jahren im Auftrag des BAK realisiert wurden und die die immer noch herrschende Untervertretung von Frauen im Schweizer Film belegten. Diese Studien hatten dann auch Konsequenzen bezüglich vermehrter Förderung von Frauen.
Machen Frauen andere Filme als Männer?
Bettina Oberli: Ja, vielleicht schon (lacht). Doch naturgegeben schaut man als Frau gewisse Dinge anders an, man setzt vielleicht andere Schwerpunkte. Und doch: Jeder Mensch macht andere Filme. Ich habe immer mit Männern und mit Frauen zusammengearbeitet. So habe ich etwa seit meinem Diplomfilm bei fast all meinen Filmen mit dem gleichen Kameramann, Stéphane Kuthy, zusammengearbeitet. Für «Wanda, mein Wunder» arbeitete ich nun erstmals mit einer Kamerafrau, Judith Kaufmann zusammen. Dies einfach deshalb, weil ich ihre Arbeit kannte und ich fand, dass ihr Stil ideal zu «Wanda» passt.
Gitta Gsell: Natürlich gibt es Unterschiede bei den Genres. So werden beispielsweise immer noch nur sehr wenige Actionfilme von Frauen realisiert. Generell kommt es auf die Person an, ich selber kann nicht sagen, ob ich grundsätzlich lieber mit Männern oder mit Frauen zusammenarbeite.
Interview: Geri Krebs