Manfred Liechti verkörpert im Film von Regisseur Laurent Wyss einer der bekanntesten Verbrecher der Schweiz, den Amok-Rentner Peter Hans Kneubühl. Im Interview erzählt Liechti, wie er die erste Begegnung mit Kneubühl im Gefängnis empfand, warum er glaubt, dass Knast-Besuche extra unangenehm gemacht werden und warum er im Film zu zwitschern beginnt.
«Ich fühlte mich wie in einem Aquarium»
- Publiziert am 14. November 2022
Im Film «Peter K. - Alleine gegen den Staat» spielt Manfred Liechti den Verbrecher Peter Hans Kneubühl.
Interview mit Manfred Liechti
Von Geri Krebs
Manfred Liechti, Sie konnten Peter Hans Kneubühl im Gefängnis besuchen. Wie gestaltete sich dieser Besuch und wie erlebten Sie den Mann, den sie im Film verkörperten?
Der Besuch fand Anfang 2019 im Regionalgefängnis Thun statt. Es ist ein finsterer Klotz, der schon von Aussen furchterregend wirkt. Ich durfte genau eine Stunde lang mit Peter Hans Kneubühl sprechen und dem Besuch vorausgegangen war ein längeres bürokratisches Hin und Her, bis ich schliesslich eine Bewilligung erhielt. Im Vorfeld des Besuches hatte ich Bilder aus amerikanischen Filmen über Gefängnisbesuche im Kopf. Ich stellte mir vor, dass ich da auch so in einem Raum bin mit einem Tisch und einem Gefängnisaufseher in der Ecke, der unser Gespräch überwacht. In der Realität war es dann aber
ziemlich anders.
Erzählen Sie uns mehr …
Ich möchte zuerst kurz schildern, wie man als Besucher:in überhaupt in das Gefängnis gelangt. Vom Regisseur Laurent Wyss, der Herrn Kneubühl bereits mehrmals besucht hatte, wusste ich, dass man Besuchstermine nicht reservieren kann. Das heisst, dass man wieder gehen muss, wenn wegen der Besuchsbeschränkung schon jemand bei ihm ist. Doch ich war zuerst da und hatte Glück. Als Erstes traf ich beim Eingang auf einen Beamten hinter einer dicken Panzerglasscheibe. Der begrüsste mich per Mikrofon mit: «Ausweis! – Besuchsbewilligung!» Die beiden Papiere reichte ich wie bei einem SBB-Schalter unter dem Panzerglas durch, kurz darauf ging per Knopfdruck eine Türe auf. Ich stand in einem kleinen Vorraum, wo ich von einer freundlichen Wärterin mit den Worten in Empfang genommen wurde: «Sie können gleich dort nach hinten in Loge drei.» Die «Loge» war winziger Raum, ein Meter fünfzig breit, zwei Meter zwanzig lang, dahinter eine Trennscheibe aus dickem Panzerglas. Das erinnerte mich an ein Aquarium. Vor dem Panzerglas als Tisch ein eingemauertes Brett und ein Stuhl.
Peter Hans Kneubühl war aber noch nicht da?
Nein, er kam dann auf der anderen Seite des Panzerglases herein. Er bedankte sich sehr höflich, dass ich ihn besuchen komme – dass ich mich so sehr für ihn interessiere und nun sogar seine Figur spiele. Ich war erleichtert, denn ich hatte ja bereits Tagebücher und Aufzeichnungen von ihm gelesen. Darin hatte er wiederholt beschrieben, wie er sich beobachtet und vom Staat verfolgt fühlte. Ich hatte mich also darauf vorbereitet, dass er möglicherweise auch meinen Besuch so interpretieren könnte: Jetzt kommt da noch so einer zu mir ins Gefängnis, um mich auszuspionieren …
War Kneubühl ihnen gegenüber misstrauisch eingestellt?
Nein, überhaupt nicht. Es gab ein wunderbares Gespräch, wir verstanden uns gut, nur akustisch war es ein Horror. Es hallte in diesem kahlen Raum. Und durch die Sprechanlage, durch die man kommunizieren muss, verstand man gar nichts mehr, wenn wir beide mal gleichzeitig sprachen. Ich denke, es gehört zum System, dass alles möglichst unangenehm sein soll: der düstere Klotz, der Befehlston beim Eingang, der sehr kleine kahle Raum, die Trennscheibe, die Sprechanlage – und die Akustik.
Worüber sprachen Sie mit diesem Mann, den sie in «Peter K.» verkörpern sollten?
Unser Gespräch drehte sich dann vor allem um unsere Kindheits- und Jugenderinnerungen. Er ist zwar gut zehn Jahre älter als ich, aber beide sind wir im Kanton Bern am Stadtrand in der Nähe von Wäldern aufgewachsen. Ich in Bümpliz, er in Biel. Wir erzählten einander dann, wie wir als Kinder am glücklichsten waren, wenn wir in der Natur, im Wald herumtoben konnten. Im Film gibt es ja dann eine Szene, in der ich auf der Flucht vor der Polizei im Wald an einem Steilhang hochkrieche. Auf einer Lichtung angekommen, fange ich dann an, mit den Vögeln zu kommunizieren.
Ja, für mich ist das eine der stärksten Szenen überhaupt. Es ist auch das einzige Mal, dass man Sie lachen, ja über das ganze Gesicht strahlen sieht …
Es freut mich, dass Sie das auch so sehen. Die Szene war mir sehr wichtig und ist mir sehr zu Herzen gegangen. Und die Idee mit den Vogelstimmen stammte übrigens von mir, es war ein glücklicher Zufall. Auch wegen der technischen Schwierigkeiten in diesem Steilhang musste ich mehrere Male diesen Hang hochkriechen, Laurent Wyss beanstandete immer wieder irgendetwas. Als ich dann etwa das dritte oder vierte Mal hochgekrochen war, gab es plötzlich diese lauten Vogelstimmen und ich sagte zu Laurent: Du, ich kann übrigens gut Vögel imitieren (pfeift jetzt wie ein Vogel und strahlt dazu wie im Film) – wollen wir das nicht einbauen? Laurent gefiel die Idee sofort.
Im Film gibt es noch weitere, auch körperlich anspruchsvolle Szenen während Perter K.‘s Flucht. Wie haben sie diese erlebt?
Ja, zum Beispiel jene, in der ich auf dem Feld von einem Polizeihund gestellt werde. Wir bereiteten uns also vor und ich erhielt eine dieser wattierten Schutzjacken, in die sich der Hund verbeissen sollte. Zusätzlich sind diese noch mit undurchdringlichem Isolationsmaterial gesichert. Noch vor Drehbeginn schwitzte ich unter dieser Montur, wie verrückt, es war ein heisser Sommertag. Der Hundetrainer fragte mich, ob ich Angst hätte vor Hunden – was ich verneinte. Er führte mich also zu seinem offenen Kastenwagen, wo mich zwei riesige Schäferhunde anstarrten. Nun wurde mir beim Gedanken doch etwas mulmig – wie das wohl ist, wenn sich einer von ihnen in meinem Arm verbeisst? Zum Glück gab es dann noch einen etwas kleineren Hund, den Sie jetzt im Film sehen. Zuerst wurde geprobt. «Yi, jetzt geiht’s los!», ruft der Hundetrainer, der Hund explodiert förmlich. Ich in der Schutzjacke, er stürzt sich auf mich und wirft mich zu Boden, noch ohne Biss in den Arm. Das war schon recht heftig, aber wie gesagt, das war nur die Probe. Nach zweimaligen weiteren Durchläufen galt es ernst. Die Schutzjacke wurde gegen einen Kevlar-Armschutz getauscht – und nach circa fünfzehn Takes war die Szene im Kasten. Die Nachwehen: eine fast ausgedrehte Schulter, ein blutunterlaufener Oberarm mit zwei Bissspuren, deren kleine Narben ich bis heute und wohl noch und bis ans Ende meiner Tage als ein kleines Andenken an die Dreharbeiten erhalten habe. Man erklärte mir dann später, die Beisskraft von diesem kleinen Hundeli habe in diesem Moment circa 250 Kilo betragen!
Noch eine Frage zu Ihrer Karriere: Sie haben schon in vielen Filmen in kleineren und grösseren Rollen mitgespielt. Am bekanntesten war vielleicht die, als Dorfvorsteher in Bettina Oberlis «Herbstzeitlosen», und für «Im Namen der Gerchtigkeit» von Stefan Jäger waren Sie für den Schweizer Filmpreis nominiert. Sie hatten aber bisher noch nie eine Hauptrolle in einem langen Kinospielfilm. Wie kamen Sie nun zu Ihrer ersten Hauptrolle in Laurent Wyss’ Film?
Um genau zu sein, ist dies nicht meine erste Hauptrolle: In der Komödie «Luchsinger und die Götter» (2022), einer Komödie des Berner Regisseurs Markus Köbeli um vier Schweizer Rentner, die nach Bali auswandern, spielte ich an der Seite von Andrea Zogg, Max Rüdlinger und Jürg C. Meier ebenfalls den Lead. Die Hauptrolle in «Peter K. – Alleine gegen den Staat» habe ich hauptsächlich dem jungen Zürcher Regisseur Timo von Gunten zu verdanken. Laurent Wyss sah mich 2014 an den Solothurner Filmtagen bei der Premiere von Timos Kurzfilm «Mosquito». Darin kämpft ein Mann – den ich verkörpere – gegen das titelgebende Insekt. Als Laurent Wyss mich in dem dialoglosen Film sah, sagte er sofort: Das ist mein Kneubühl. Er nahm Kontakt zu mir auf und bot mir diese wunderbare Rolle an. Ich sagte zu, freute mich darauf, erstmals eine Hauptrolle in einem langen Kinospielfilm spielen zu können.
Kommen wir zum Schluss noch einmal auf ihr Gespräch mit Peter Hans Kneubühl im Gefängnis zurück und auf die Frage, ob Sie eine Erklärung dafür haben, wie er sich dermassen hat radikalisieren können?
Anscheinend war er in den 1980er-Jahren als Ingenieur während längerer Zeit in Lateinamerika tätig gewesen, vor allem in den links regierten Ländern Nicaragua und Kuba. Als er dann in die Schweiz zurückkehrte, war das ungefähr die Zeit, als der Fichenskandal aufflog und die Leute staunend zur Kenntnis nehmen mussten, dass der Staat während Jahrzehnten Hunderttausende von Einwohner:innen, die nur irgendwie mit «links» in Verbindung gebracht wurden, bespitzelt und überwacht hatte. Das muss Kneubühl stark beschäftigt haben. Zwar fand er zurück in der Schweiz bald eine Stelle als Mathematiklehrer an einer Privatschule, doch als man ihm dort nach ein Paar Jahren kündigte, war er sicher überzeugt, dass auch da der Staat seine Finger im Spiel gehabt hatte. Wie gesagt, ich konnte das nicht abschliessend mit ihm besprechen. Aber ich bin überzeugt, wenn ich mir seine weitere Geschichte anschaue: Man hätte das auch anders lösen können, nichts hätte so eskalieren müssen. Der Staat hat hier krass versagt. Einerseits hat man gar nie aktiv das Gespräch mit ihm gesucht, man hat seine Situation nie genau angeschaut, sondern hat die Sache einfach laufen lassen. Und als es dann zu spät war, ist man mit unglaublicher Härte gegen ihn vorgegangen. Wenn ich mir vorstelle, dass bei mir eines Morgens mein Haus von einer Antiterroreinheit der Polizei umstellt und die Tür aufgebrochen würde, ich wüsste auch nicht, wie ich reagieren würde.