«Suppe, Seife, Seelenheil.» Getreu diesem Motto kümmert sich die Heilsarmee um Randständige und Bedürftige. Auch der Offizier Fredi Inniger besucht in der Stadt Zürich Obdachlose und einsame alte Menschen. Der Zürcher Regisseur Thomas Thümena hat Inniger in seinem vielbeschäftigten Alltag mit der Kamera begleitet und porträtiert sowohl den Salutisten der Freikirche wie auch die Bedürftigen, mit denen dieser sich regelmässig austauscht.
HIMMEL ÜBER ZÜRICH
Synopsis
Der Heilsarmee-Offizier Fredi hilft Menschen am Rande der Gesellschaft mit Rat und Tat. Seine Schäfchen allerdings, Obdachlose und Randständige, sind vom christlichen Heilsversprechen nicht restlos überzeugt. Sie kommentieren die Vorstellung vom Glück im Jenseits mit Witz und kritischem Verstand. Mit der Kamera auf der Schulter taucht der Filmemacher Thomas Thümena in «Himmel über Zürich» in unterschiedliche Lebensrealitäten im schicken Zürich von heute ein und entwirft ein sozial engagiertes Grossstadtporträt – bildmächtig, emphatisch, mit starken Protagonisten und viel Humor.
Stimmen
Eine respektvolle Annäherung an Menschen, die oft ignoriert oder belächelt werden. Der menschliche Dokumentarfilm gibt ihnen eine Stimme und lässt den Himmel über Zürich überraschend warm erstrahlen. – ZFF
Rezension
Von Geri Krebs
«Soon we are going to see the king», singt an der vorweihnachtlichen Zürcher Bahnhofstrasse vielstimmig ein Heilsarmee-Chörli. An der Gitarre: Fredi Inniger. Der ehemalige Elektriker amtiert als Vollzeit Geistlicher bei der karitativen freikirchlichen Organisation und organisiert zusammen mit seiner Ehefrau Miriam Anlässe für Bedürftige, macht Hausbesuche bei vereinsamten Senior:innen, betet mit ihnen und kümmert sich um Obdachlose. «Hören, beten, hoffen, tun», steht auf einem Transparent an einem Gebäude der Heilsarmee – und dass Obdachlose im Gegensatz zu einsamen Alten oft nicht so empfänglich sind für die Frohe Botschaft, das bringt Jürg K., ein ehemaliges Heimkind, auf den Punkt. Der bärtige Mann, der seit Jahrzehnten meist auf der Strasse lebt, meint trocken: «Was nützen mir diese G’schichtli vom Himmel, wo ich dann mal hinkomme, wenn ich tot bin.» Der stets reflektiert wirkende Mann, der von sich sagt, ihm sei nie langweilig und er könne gut auch eine Stunde lang nur einen Baum betrachten, ist neben der Hauptfigur Fredi Inniger der heimliche Protagonist in HIMMEL ÜBER ZÜRICH.
Der heimliche Hauptprotagonist
Wenn Jürg K. erzählt, wie er als Betroffener an eine Tagung eingeladen worden sei, an der eine Sozialvorsteherin einer Schweizer Gemeinde das gut funktionierende Sozialsystem lobte und er später den Anwesenden habe erzählen können, «wie es wirklich ist» – oder wenn er an anderer Stelle eine Begegnung mit einem jungen Sozialpädagogen auf einem Amt schildert, der ihm habe erklären wollen, wie man mit wenig Geld auskomme – «er, der 8000 Franken im Monat verdient» – dann zeigen solche Dialogpassagen ganz beiläufig und ohne erhobenen Zeigefinger, was es heisst, so genannt ‹randständig› zu sein.
Eindrückliches Zeitdokument
Mit Bildern einer oft nachtgrauen, abweisend kalten, verregneten Stadt Zürich mit einer Glitzerfassade des Primetower im Morgennebel oder der Betonwüste am Escher Wyss Platz schaffen die drei Kameraleute – Stéphane Kuthy, Gaby Betschart und Othmar Schmid – die perfekte Atmosphäre für einen Film, der konsequent nur beobachtet und sich jedes verbalen Kommentars enthält. Was es zwar mit sich bringt, dass das Ehepaar Inniger und die Organisation, der sie sich mit Haut und Haar verschrieben haben, etwas gar unkritisch und unhinterfragt wegkommt. Doch das lässt sich wegstecken bei einem Film, der einen insgesamt nachdenklich zurücklässt und der auch als ein bewegendes Zeitdokument seine Wirkung entfaltet: Gefilmt zwischen 2019 und 2022 sieht man plötzlich, wie irgendwann alle nur noch mit Masken herumrennen – um dann in den letzten 15 Minuten Inniger und die Seinen beobachten zu können, wie sie im HB Zürich an der Anlaufstelle für Flüchtlinge aus der Ukraine tatkräftig Hilfe leisten und sich hier einige der eindrücklichsten Dialoge entwickeln.
Fazit: Auch wenn HIMMEL ÜBER ZÜRICH – dessen Titel an das Lied «Miis Dach isch dr Himmel vo Züri» erinnert, das Zarli Carigiet 1959 als Clochard ‹Dürst› in Kurt Frühs Sozialdrama HINTER DEN SIEBEN GLEISEN sang – bisweilen ein wenig wie ein Werbefilm für die Heilsarmee wirkt, verblasst dieser scheinbare Mangel dank starker Protagonisten, atmosphärisch stimmigen Bildern und getragen von einer Haltung, die allen Figuren auf Augenhöhe begegnet.