Der Gotthard-Basistunnel bringt die Kulturräume Uri und Tessin näher zusammen. Das Teatro Sociale aus Bellinzona spielt im theater(uri) ein Dokumentartheater – eine eindrückliche Bahnreise durch 150 Jahre Tessiner Bahngeschichte.
theater(uri) | «Prossima fermata Bellinzona»
- Publiziert am 8. Juni 2016
Kulturbrücke zum Tessin
Anfang Juni wurde mit dem Gotthard-Basistunnel der längste Tunnel der Welt eröffnet. Doch Gottardo 2016 geht weiter. Der Kanton Uri koordiniert unter dem Label «Kultur am Gotthard» bis Dezember dieses NEAT-Eröffnungsjahrs hochstehende Kulturanlässe aus der ganzen Region. So wird unter anderem auch eine Kulturbrücke zum Tessin geschlagen: Am 12. Juni 2016 ist das Teatro Sociale di Bellinzona mit dem Stück «Prossima fermata Bellinzona» zu Gast im theater(uri).
Lebensgefühl geprägt durch die SBB
«Prossima fermata Bellinzona» blickt zurück auf 150 Jahre Tessiner Eisenbahngeschichte. Mit einer Mischung aus dokumentarischem Theater und Drama zeigt das Stück eindrücklich, wie stark das Lebensgefühl in der Leventina von der Arbeit in der SBB-Werkstätte und dem Schienenverkehr geprägt wurde. Die fünf Schauspielerinnen treffen auf der Suche nach der eigenen Identität in einem imaginären «Lagerraum für Bahnerinnerungen» aufeinander. Das Bühnenbild erinnert stark an den Bahnhof Bellinzona. Zwei Archivare ziehen immer wieder neue Bilder, Dokumente und Videoaufnahmen hervor, in denen Menschen verschiedene Geschichten, Anekdoten und Erinnerungen rund um die Bahn erzählen. Tragische Ereignisse, etwa ein schwerer Unfall 1924, wechseln sich ab mit lustigen Episoden und politischen Diskussionen.
Ähnlichkeit nur von aussen
Der längste Tunnel der Welt ist für den Verkehr in der Schweiz und Europa ein Versprechen an die Zukunft. Zwei Orte, die zuvor so weit voneinander entfernt waren wie Basel von Altdorf oder Mailand von Bellinzona, stehen sich nun an den Enden des Tunnels unmittelbar gegenüber. Bellinzona besitzt unbestritten eines der schönsten Theater der Schweiz. Altdorf, der Hauptort des Kantons Uri, verfügt ebenfalls über ein imposantes denkmalgeschütztes Theater, das als Tellspielhaus und Schauplatz von Schillers «Tell» eine grosse historische Bedeutung hat. Vergleicht man die beiden prominent im Stadtzentrum gelegenen Theater miteinander, so überrascht die äusserliche Ähnlichkeit. Stuck und Wandmalereien markieren neoklassizistische Zurückhaltung und Repräsentativität. Im Inneren dagegen bietet sich ein völlig anderes Bild.
Sensibilisierung für die kulturellen Unterschiede
Hans Keller, Leiter des theater(uri), glaubt, dass der neue Tunnel die beiden Theater für die kulturellen Unterschiede eher noch sensibilisieren werde: «Vielleicht wird man sich erst jetzt bewusst, dass sich selbst bei grosser Beschleunigung die Mentalitäten nicht ändern.» Gianfranco Helbling, Direktor des Teatro Sociale Bellinzona, erwartet von der NEAT eine stärkere kulturelle Annäherung an den Norden und ebenso eine Stärkung der Schweizer Identität der Tessiner – also einen Ausweg aus der Isolation der letzten Jahrzehnte.