Bemerkenswerte Wiederentdeckeung und Schweizer Erstaufführung eines Jugendwerks von Verdi. Mitreissende Musik in hervorragender Interpretation.
Theater St.Gallen | Alzira
Kritik:
Die Schweizer Erstaufführung von Verdis Frühwerk ALZIRA in St.Gallen, hat einmal mehr bewiesen, dass es sich lohnt, die über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte kolportierten Vorurteile immer wieder zu hinterfragen. So galt ALZIRA als unausgereiftes, selbst vom Komponisten fallen gelassenes, schnell dahin geschriebenes Jugendwerk. Doch beim genauen Hinhören entpuppt sich diese Oper (ähnlich wie der vor kurzem in Zürich zur Diskussion gestellte CORSARO) als durchaus aufführenswert, voller musikalischer Schönheiten, mitreissender Finali und Cavatinen melodiöser Einfallskraft.
Während man in Zürich mit einem spektakulären Bühnenbild auftrumpfte, setzte Regisseur und Ausstatter Denis Krief in St.Gallen auf stringente Schlichtheit, um sich ganz auf den Dreieckskonflikt Alzira-Gusmano-Zamoro zu konzentrieren. Dabei beherrschten Dreiecksformen auch das Bühnenbild. Die drehbaren Holzelemente stellten mal eine stilisierte Inkapyramide, mal eine peruanische Berglandschaft mit dem Machu Picchu, mal eine Gasse mit Gouverneurspalast in Lima dar. Auch bei den Kostümen herrschte diese Einfachheit vor: Die Indianer in dicke, in Braun- und Schwarztönen gehaltene Stoffe gehüllt, die spanischen Kolonialherren in einfachen Uniformen. Einzig das unten von der Rampe strahlende Licht setzte teils gespenstisch wirkende Farbakzente mit entsprechenden Schattenspielen.
Vorne links war der heilige Stein der Inkas, der Andenopal, zu sehen, dieses Zeichen für die Menschen, harmonisch miteinander und der Umwelt umzugehen. Bei ihm suchten die Protagonisten in Extremsituationen immer wieder Trost und Zuflucht – ein sehr schöner Einfall des Regisseurs und versteckter Hinweis auf den Humanismus und die Katholizismus Kritik von Voltaires Vorlage. Ansonsten wurde die Handlung geradlinig, direkt und ohne künstlich aufgesetzte Aktualisierungen erzählt. Bei diesem Stück ein durchaus gangbarer, nicht allzu tief schürfender Weg.
Musikalisch hat Verdi in seiner Musik trotz des Ambientes in seiner Partitur keine Exotismen versteckt, das ist aufwühlende, in der Belcanto Tradition verhaftete Musik, mit schlagkräftigen Chören (ganz hervorragend die Chöre des Theaters St.Gallen und die Herren des Theaterchors Winterthur, Einstudierung Michael Vogel). Der Dirigent Henrik Nánási und das Sinfonieorchester St.Gallen spielten die wunderbar eingängige Musik con brio, liessen aber auch herrliche Kantilenen aufleuchten (hervorragend die Holzbläser im delikaten Vorspiel!!!). Besonders eindrücklich gestaltete der Dirigent das den zweiten Akt eröffnende Brindisi der feiernden spanischen Soldaten. Wie Trunkenheit und Siegestaumel mit minimal verzögerten Einsätzen dargestellt wurden, ohne dass das Musikstück auseinanderzufallen drohte, war eine Klasseleistung von Chor, Orchester und Dirigent. Die flirrenden, irisierenden Streicherklänge zur Einleitung der ersten Szene der Alzira gemahnten bereits an Lohengrin und Traviata. Majellah Cullagh ersang sich trotz einer akuten Bronchitis einen grossen Erfolg in der Titelpartie; ihre Alzira verfügt genau über das wunderbar warme Timbre, die perlenden Koloraturen und die das Ensemble überstrahlenden Spitzentöne in den beiden effektvollen Aktfinali. Nach der Pause wusste sie zudem, dass die Stimme trotz der Indisposition gut sass und konnte im grossartigen Duett mit Gusmano restlos überzeugen. Luca Grassi sang diesen zwischen christlich geprägter Gesinnung, leidenschaftlichem Begehren, Versagensängsten (Vincer non posso un cor) und Rivalitätsgedanken zerriebenen Kolonialisten mit kernigem, sicher und differenziert geführtem Bariton. Seine Sterbeszene geriet zu einem erschütternden Bekenntnis wahren Christentums. Die anspruchsvolle Tenorpartie des Zamoro erfüllte Héctor Sandoval mit seiner lyrischen Stimme: Sehr schön anzuhören waren seine Pianokultur und die überlegene, geschmackvolle Phrasierung. In den lauten Finali war er mit seiner nicht allzu grossen Stimme vielleicht etwas benachteiligt, doch ist es ihm hoch anzurechnen, dass er dies nicht durch ungebührliches Forcieren zu kaschieren suchte.
In den kleineren Partien konnte das Theater St.Gallen mit luxuriösen Besetzungen aufwarten:
Tijl Faveyts begeisterte mit seinem wohlklingenden Bass als alter Gouverneur Alvaro, bei Katja Starke als Zulma bedauerte man, dass Verdi seinen Librettisten zu Kürze angehalten hatte. Wie gerne hätte man von dieser tollen Mezzosopranistin eine Arie gehört. Auch Andrzej Hutnik als Stammeshäuptling und Vater Alziras und Zulmas sowie Riccardo Botta als Otumbo und Carlos Petruzziello als Ovando erfüllten ihre Rollen vortrefflich.
Fazit:
Ein früher Verdi, der die Wiederentdeckung und somit den Besuch des Theaters St.Gallen lohnt.
Inhalt der Oper:
Zamoro, der Anführer der Inkas, lässt Alvaro, den von den Inkas gefangen genommenen spanischen Gouverneur Perus frei, da er nicht gegen Greise kämpfen will. Seine Braut Alzira ihrerseits befindet sich jedoch in spanischer Gefangenschaft.
Gusmano, Alvaros Sohn, will mit den Inkas Frieden schliessen und als Zeichen seines
Entschlusses Alzira heiraten. Doch diese trauert um den tot geglaubten Zamoro. Als Zamoro erscheint, schwören sich die beiden Liebenden ewige Treue. Gusmano lässt Zamoro verhaften und will ihn hinrichten lassen. Sein Vater Alvaro, überredet ihn jedoch, die Inkas freizulassen.
Auf dem Schlachtfeld fügen die Spanier den Inkas eine vernichtende Niederlage zu. Zamoro und Alzira befinden sich erneut in spanischer Gefangenschaft.
Alzira willigt in die Heirat mit Gusmano ein, wenn dieser Zamoro frei lässt.
Während des Hochzeitsfestes dringt Zamoro als Spanier verkleidet in den Gouverneurspalast ein und ersticht Gusmano. In den Armen seines Vaters sterbend vergibt Gusmano seinem Mörder Zamoro und gibt Alzira frei.
Werk:
ALZIRA gehört (wie der kürzlich in Zürich aufgeführte CORSARO) zu Verdis Frühwerken, entstanden in seinen so genannten „Galeerenjahren“, als er oft in kurzer Zeit neue Werke komponieren musste um zu überleben. ALZIRA entstand zwischen den erfolgreichen Opern ERNANI und MACBETH. Cammaranos Libretto basiert auf einem Stück von Voltaire, dem grossen Humanisten der Aufklärung, welcher mit seinen die Feudalherrschaft, das weltanschauliche Monopol der katholischen Kirche und den Absolutismus kritisierenden Texten als Wegbereiter der Französischen Revolution gilt.
Verdi interessierte am Stück aber die exotische, konfliktreiche Dreiecksgeschichte um einen spanischen Eroberer, einen Inkahäuptling und eine Indianerin.
Verdis achte Oper wurde zwar nach der Uraufführung in Italien einige Male gespielt, geriet jedoch bald in Vergessenheit. 1938 nahm der Reichssender Berlin eine gekürzte Fassung auf (mit Elisabeth Schwarzkopf in der Titelrolle). 1967 wurde das Werk in Rom (mit Virginia Zeani und Cornell MacNeil) szenisch aufgeführt. Die deutsche Erstaufführung fand erst 1998 in Passau statt (mit Barbara Schneider-Hofstetter).
Wegen der Schönheit und dem melodischen Einfallsreichtum von Verdis Komposition sollte die Oper vor dem Vergessenwerden bewahrt bleiben.
Auf dem Markt sind zwei Gesamtaufnahmen erhältlich:
Unter Lamberto Gardelli singen Cotrubas, Araiza und Bruson,
unter Fabio Luisi singen Mescheriakova, Vargas und Gavanelli.
Musikalische Höhepunkte:
Un inca, eccesso orribile, Cavatina des Zamoro, Prolog
Eterna la memoria, Cavatina des Gusmano, Akt I
Da Gusman, su fragil barca, Cavatina der Alzira, Akt I
Qual ardimento, Finale Akt I
Mesci, mesci! Vittoria, Brindisi, Akt II
Il pianto…l’angoscia, Duett Alzira-Gusmano, Akt II
Irne lungi ancor dovrei, Arie des Zamoro, Akt II
E dolce la tromba, Arie und Sterbeszene des Gusmano,Akt II
Für art-tv und oper-aktuell : Kaspar Sannemann, 31. Januar 2010