Der sehnsuchtsvolle Fadogesang von Marta Rosa aus Lissabon findet in Verbindung mit Gitarrenklängen und einem Streichquintett Einzug in die Klosterkirche und in der Installation von Ruth Maria Obrist weht ein geheimnisvoller Wind, der Verborgenes in neuer Gestalt hervorbringt. Im neusten Gesamtkunstwerk von Tanz & Kunst Königsfelden interpretiert ein internationales, zeitgenössisches Tanzensemble aus 10 Tänzer:innen die Uraufführung des schweizerisch-portugiesischen Choreografen Filipe Portugal.
Tanz & Kunst Königsfelden präsentiert mit «Heimlich seufzen die Winde» ein melancholisches Gesamtkunstwerk
Unter diesen Bäumen oder jenen Führt an den Tanz,
Führt an den Tanz, ihr holden Nymphen, Bis hin zur grossen Freude,
Eurem Lebensquell. Führt an den Tanz, Und seid fast gleich den Menschen
In jener Freude, die zu Rhythmen ward Feierlich und weihevoll,
Doch zügellos, wenn wir euch gleich es tun, Denn traurig ist der Menschen Leben,
Das unter eben diesen Bäumen den Tanz Nicht anzuführen weiss …
Ricardo Reis
Heteronym von Fernando Pessoa
Übersetzung Inés Koebel
Klang- und Erinnerungsbilder
Der Choreograf Filipe Portugal unternimmt mit diesem choreografischen Werk eine Reise zu den Wurzeln seiner Herkunft. Zum einen kommt er seinem langgehegten Wunsch nach, sich mit dem gefühlsintensiven Gesang des Fado auseinanderzusetzen und ihn mit seiner abstrakten tänzerischen Sprache zu konfrontieren, zum anderen inspiriert er sich an Stimmungsbildern aus der Poesie des portugiesischen Schriftstellers Fernando Pessoa. Der traditionsreiche Fado steht wie eine geheimnisvolle Kostbarkeit in der Gegenwart des tänzerischen Ausdrucks und erfährt im Ambiente der Klosterkirche eine besondere Entfaltung. Die Klosterkirche Königsfelden ist als Erinnerungsstätte ein idealer Ort, eigenen und fernen Klang- und Erinnerungsbildern einen Resonanzraum zu eröffnen. Als musikalisches Gegenüber spielt das Streichquintett unter der Leitung der Violinistin Laida Alberdi unterschiedliche Arrangements aus dem klassischen und zeitgenössischen Kontext. Die Auswahl der Musikstücke richtete sich ganz nach der atmosphärischen Ausrichtung der tänzerischen Bilder und entstand während den gemeinsamen konzeptionellen Vorbereitungen.
Die Verbindung von Raum, Tanz und Musik
So stehen ungewohnte Verbindungen von Musikstücken des Streichquintetts im Dialog zu Klangräumen von Fado und Wind. Kompositionen von Karl Jenkins, Reinhold Glière, Georg Friedrich Händel, Eugène Ysaÿe und Astor Piazzolla verleihen der tänzerischen Interpretation eine inspirierende Weite.
Im Titel des Gesamtkunstwerks «Heimlich seufzen die Winde» lebt ein Zitat aus der Poesie von Ricardo Reis auf, einem der zahlreichen Heteronyme des Dichters Fernando Pessoa. In vielen seiner Gedichte verkörpert der Wind äusserst sensible, menschliche Empfindungen und metaphysische Einsichten.
Diese Windbilder wiederum haben die Künstlerin Ruth Maria Obrist zu ihrer Idee der eigens für dieses choreografische Werk erstellten Kunstinstallation im Kirchenraum geführt. Der Ausdruck von Verletzlichkeit und persönlichen Erinnerungsbildern sowohl im Fado wie in den Texten von Fernando Pessoa wurden zu einer bedeutenden Inspirationsquelle. Das choreografische Werk folgt dem Anspruch einer Bewegung hin zu einer Verbindung von Raum, Tanz und Musik.
Die Kunstinstallation von Ruth Maria Obrist
Die Künstlerin Ruth Maria Obrist beschäftigte sich mit der Frage nach Darstellungsformen des Windes in der Bildenden Kunst. Mit welcher Materie können Reaktionen und Folgen der Windbewegungen aufgezeigt werden? Die Lösung fiel der Künstlerin durch die Bemerkung eines Freundes zu. «Wenn bei einem Segelschiff der Windmesser kaputt geht, ist die beste Alternative, ein Band einer Musikkassette aufzuhängen, denn diese Bänder reagieren hochsensibel auf den leisesten Luftzug.» In alten Musikkassetten und Videobändern fand sie das hochsensible Material, das auf den leisesten Luftzug reagiert. Das Sammeln dieses Ton- und Bildmaterials ist von vielen persönlichen Schilderungen der erinnerten Aufnahmen begleitet, die der Installation ihre eigene Erinnerungskultur verleihen. Laubähnlich hängen diese Kulturträger in Bäumen, welche zum Schutze ihres verletzlichen Gehalts mit Bandagen umwickelt wurden. Nun weht ein geheimnisvoller Wind durch die Klosterkirche Königsfelden, der Verborgenes in neuer Gestalt hervorbringt. Die Installation wurde vor Ort in der Kirche aufgebaut: das Material kann nachträglich grösstenteils wieder verwendet werden.