Blutleerer Tanz der Vampire nach fulminantem Beginn.
Grossartiges Dirigat des Noch-GMD Welser-Möst. Sensationelle Eva Liebau als Adele.
Opernhaus Zürich | Die Fledermaus
- Publiziert am 29. März 2008
Kritik:
“Wie originell…Die Fledermaus. Es gibt niemanden hier im Haus, der das nicht schon dreimal gesehen hat.”
Diese Worte hat Regisseur und Dialogbearbeiter Michael Sturminger dem Prinzen Orlofsky in den Mund gelegt. Wie wahr!!! Besonders originell war die Wahl der FLEDERMAUS tatsächlich nicht, liegt doch die (kaum gespielte und nie wieder aufgenommene) letzte Inszenierung nur mal acht Jahre zurück (Harnoncourt/Flimm). Und die vorletzte, sich ständig beschwipst drehende, kam Mitte der Achtzigerjahre heraus, zur damaligen Einweihung der Drehbühne (Weikert/Herzl).
Regisseur Sturminger legt die doch etwas abgestanden wirkende Geschichte nun in die Gegenwart; Rosalinde (Emily Magee) ist eine emanzipierte, sich diebisch auf ihren ersten Seitensprung freuende Ehefrau, ihr attraktiver, aber kindisch-weinerlicher Liebhaber Alfred (Christoph Strehl) darf sich in Unterhosen zeigen, ihr Gemahl Eisenstein (Oliver Widmer) freut sich auf die Ballettratten, die auch wirklich mit Rattenköpfen in seinem Haus auftauchen, Falke (Gabriel Bermúdez) zieht die Fäden als Graf Dracula vom Dach des Hauses Eisenstein aus, Adele (Eva Liebau) steht rauchend auf dem Balkon und Prinz Orlofsky (Michelle Breedt) ist ein immer noch wie achtzehn aussehender, gelangweilter 400jähriger Vampir. Diese Ausgangslage hätte eigentlich das Zeug zu einem unterhaltsamen Operettenabend, der fulminante Beginn ist auch durchaus viel versprechend, nicht zuletzt dank der überzeugenden Ausstattung von Renate Martin und Andreas Donhauser. Doch nach der Pause, während des Balls im schwarzen Vampirschloss (mit originalgetreuer Nachbildung des Kronleuchters aus dem Zuschauersaal) überträgt sich sich die Langeweile des Prinzen schleichend aufs Publikum. Einige witzige Details (Ankunft eines Gastes im Sarg) vermögen nicht über das mangelhafte Timing der Gags und Pointen hinwegzuhelfen. Dies setzt sich leider auch im dritten Akt fort, obwohl mit Karl Markovics (bekannt aus dem soeben mit dem Oscar gekrönten Film DIE FÄLSCHER) ein wirklich brillant agierender Frosch auf der Bühne steht. Doch sein Gejammer über die Blutsauger und darüber, dass er auch mit drei Jobs kaum über die Runden kommt, wirkt trotz des Anstimmens der Internationalen viel zu brav, zu bieder. Das hat keinen Biss. Anscheinend wollte man niemandem wirklich weh tun. Dies wurde Rosalinde überlassen, die – zur Vampirin gewandelt – ihrem Ehemann Gabriel zum Schluss das Blut aussaugt …
Was aus dem Orchestergraben strömte hatte allerdings Biss, Witz – und Klasse. Nur schon die Ouvertüre war ein veritabler Ohrenschmaus. Hier merkte man, wie präzis und intensiv Franz Welser-Möst mit dem Orchester gearbeitet hatte. Grossartig.
Die Mitglieder des Chors agieren beschwingt-beschwipst als morbide Ballgesellschaft.
Aus den Sängerinnen und Sängern, die meisten mit ansprechenden Rollendebüts, ragt Eva Liebaus Adele heraus. Ihr Couplet im dritten Akt Spiel ich die Unschuld vom Lande war sowohl gesanglich wie darstellerisch ein Kabinettstück. Endlich darf die Sängerin … mit dem Talent, mit dem Talent …auf der Bühne des Opernhauses einmal in einer tragenden Rolle glänzen. Damit gelingt ihr – ähnlich wie Christiane Kohl vor drei Wochen in INTERMEZZO – wohl der Durchbruch zu einer grossen Karriere. Michelle Breedt singt den Orlofsky beinahe zu schön, das dürfte durchaus etwas voller und ordinärer klingen. Auch Oliver Widmers Eisenstein ist zu brav angelegt. Für seinen eifersüchtigen Ausbruch im dritten Akt Ja ich bin’s, den ihr betrogen müssten mehr Reserven mobilisiert werden können. Emily Magee agiert und singt ganz bezaubernd als Rosalinde, ihre überzeugendste Szene hat sie wohl im ersten Akt, als sie über ihren ersten Seitensprung philosophiert und mit den Damen im Publikum kokettiert. Reinhard Mayr als Gefängnisdirektor glänzt mit akrobatischen Einlagen im dritten Akt (der Runninggag ist hier für einmal nicht der Hutständer, sondern ein Tisch).
Es ist verständlich, dass das Opernhaus eine FLEDERMAUS im Repertoire haben will, wirklich zwingend war diese Neuinszenierung nicht. Im Land des Lächelns der Operette gäbe es auch andere Kostbarkeiten zu entdecken, die man wieder einmal in Zürich auf die Bühne bringen könnte. So sah es auch das Premierenpublikum – freundlicher, aber kurzer Beifall.
Um mit Hofmannsthal zu sprechen: `S ist halt eine wienerische Maskerad’ und weiter nichts.
Fazit:
Hübscher, aber blutleerer Tanz der Vampire; grandioses Dirigat. Eva Liebau glänzt als Adele!
Inhalt:
Ein Liebhaber wird irrtümlicherweise als Ehemann verhaftet, zwei Männer machen sich gegenseitig vor, Franzosen zu sein, ein Mann flirtet mit einer ungarischen Gräfin und merkt nicht, dass es seine eigene Gemahlin ist, ein Kammermädchen gibt sich als Schauspielerin aus, erscheint im Kostüm ihrer Arbeitgeberin auf dem Ball und lässt sich von ihrem Arbeitgeber bezirzen: Dies alles ist der Racheplan des Dr. Falke, der sich an seinem Freund Eisenstein für einen Streich rächen will, den ihm dieser vor Jahren gespielt hatte. Betrunken und als Fledermaus verkleidet war dieser Dr. Falke von Eisenstein dem Gespött der Wiener Gesellschaft preisgegeben worden.
Im Gefängnis löst sich dann das ganze qui pro quo auf…
Werk:
Unvergängliche Melodien, Heiterkeit und genialer musikalischer Einfallsreichtum zeichnen diese “Königin der Operette” aus. Doch trotz vorherrschender Walzerseligkeit kann man in der Komposition auch Doppelbödigkeit und Gesellschaftskritik entdecken: Doppelmoral, eskapistische Wünsche, um aus dem Gefängnis der Ehe auszubrechen und menschliche Gemeinheiten treten zu Tage.
Musikalische Höhepunkte:
Ouvertüre
Rosalinde: So muss allein ich bleiben, Akt I
Orlofsky: Ich lade gern mir Gäste ein, Akt II
Adele: Mein Herr Marquis, Akt II
Rosalinde: Klänge der Heimat Csárdás, Akt II
Finale Akt II
Adele: Spiel ich die Unschuld vom Lande, Akt III
Terzett: Erzittert, ihr Verräter, Akt III
Für art-tv.ch: © Kaspar Sannemann, 30. März 2008