Ein Feuer und eine unbequeme Aussage können ein grandioses Kunstwerk in Vergessenheit geraten lassen. Das Luzerner Theater holt diese wunderbare Oper wieder aus der Versenkung.
Luzerner Theater | Andromaque
Vernunft und Selbstbeherrschung
Vernunft ist die einzige Rettung im Chaos der Leidenschaften. Diese These untermauerte der französische Dramatiker Jean Racine immer wieder mit seinen Tragödien – in «Phèdre» (1677) ebenso wie in «Andromaque» (1667). Blind in ihrem extremen Fühlen gehen die Figuren auf ihrer Glückssuche einer unausweichlichen Katastrophe entgegen, unschuldige Opfer mit ins Verderben reissend, und beweisen so ex negativo die Notwendigkeit von Demut und Selbstbeherrschung.
Kritik
Mit der spannenden Aufführung in Luzern wird einmal mehr offenbar, welche Schätze oft zu Unrecht in den Musikarchiven schlummern. Grétrys ANDROMAQUE zeichnet sich durch eine beinahe archaisch wirkende Kraft und Direktheit aus, welche im intimen Rahmen des Luzerner Theaters ihre Wirkung nicht verfehlte. Eine schnörkellose szenische Umsetzung (Georges Lavaudant) und eine von zupackendem und ungestümem Vorwärtsdrang geprägte musikalische Interpretation sorgten für ein unerbittliches Zusteuern auf das erschütternde Finale dieser klassischen griechischen Tragödie.
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Geschichte
Oreste liebt seit einiger Zeit, aber vergeblich, die griechische Prinzessin Hermione, die ihrerseits für Pyrrhus, den König von Epirus, entbrannt ist. Pyrrhus jedoch, der den Griechen zum Sieg über Troja verhalf, begehrt seine Kriegsbeute: Andromaque, die Frau des gefallenen trojanischen Feldherrn Hector. Die trauernde Gefangene wiederum fürchtet am meisten um die Zukunft ihres Sohnes Astyanax. Während Hermione versucht, bei der Bevölkerung Angst vor Racheakten dieses noch lebenden Feindes zu schüren, stellt Pyrrhus die Geliebte vor die Wahl: Entweder Hochzeit mit ihm oder Tod des Kindes ?…
Erstmals in der Schweiz
Der belgische Komponist André Ernest Modeste Grétry konnte sich in Paris vor allem als Meister der Opéra-comique einen Namen machen, bevor er 1780 mit «Andromaque» seine erste Tragédie lyrique präsentierte. Diese zeichnet sich denn auch neben der für diese Gattung typischen Prachtentfaltung mit opulentem Orchester und grossen Chorszenen durch eine feine, auf Natürlichkeit des Ausdrucks bedachte Zeichnung der Charaktere und Situationen aus. Nach 230 Jahren lässt sich dieses Werk nun erstmals in der Schweiz entdecken.
Für art-tv und oper-aktuell: Kaspar Sannemann, 30. Mai 2011