Lohnenswerte Ausgrabung, Schweizerische Erstaufführung.
Spannend und aktuell. Ein MUSS für Opernfreunde!
Luzern | Kehraus um St. Stephan
- Publiziert am 29. September 2008
Kritik:
Welch eine Entdeckung! Drei Stunden Spieldauer vergehen wie im Flug dank packender Handlung, intelligentem, satirischem und nachdenklich stimmendem Text – und dazu eine vorzügliche, szenisch äusserst genaue und musikalisch überzeugende Umsetzung dieses Sittengemäldes von Ernst Krenek.
Dirigent John Axelrod betreute am Samstag seine letzte Premiere in Luzern und bewies einmal mehr sein Gespür für Entdeckungen. Dieses Werk in dieser Interpretation MUSS man gesehen und gehört haben. Die Nähe zur Bühne erweist sich im Luzerner Theater zu einem Riesen Vorteil fürs Publikum. Gebannt verfolgt man das satirische, bitterböse und doch tragische Geschehen, leidet mit den exzellenten Darstellerinnen und Darstellern mit. Und diese leisten Beachtliches: Jason Kim verblüfft mit strahlkräftigem Tenor als Rittmeister a.D., Mechthild Bach ist eine in ihrer Abneigung gegen den unsympathischen Berliner Kabulke (toll gespielt und gesungen von Thomas Ghazeli) resolute Elisabeth, findet aber in ihrem grossen Gebet zu wahrlich anrührenden, durchdringenden und direkt ins Herz greifenden Tönen, meistert souverän die schwierigen Intervalle. Stefan Rössler ist der sympathische Weinbauer, einer, der noch an Anstand und Werte glaubt. Seine Kinder hingegen suchen das grosse, schnelle Glück (und Geld). Maria reflektiert ihr Handeln immerhin („Ich wollte das Geld haben, nun hat mich das Geld“). Simona Eisinger singt und gestaltet die Figur restlos überzeugend. Genauso prägnant charakterisiert Hans-Jürg Rickenbacher ihren Bruder Ferdinand. Eine Entdeckung ist der Bariton Howard Quilla Croft als Industrieller Koppreiter. Er zeichnet ein differenziertes Porträt dieses ziestrebigen Unternehmers, der dann doch so kläglich scheitert und nur noch die Selbsttötung als letzten Ausweg sieht. Wunderschön gesungen auch sein Duett mit Mechthild Bach im ersten Teil. In weiteren Rollen überzeugen Flurin Caduff, Caroline Vitale, Martin Nyvall und Jürgen Schulz. Vortrefflich der Chor des Luzerner Theaters und die Schülerinnes des Dance Art Studios.
Die Inszenierung im grauen, tristen Einheitsbühnenbild, welches mit wenigen Versatzstücken die schnellen Szenenfolgen genial bewältigt, ist absolut stimmig. Ohne Mätzchen wird die Geschichte aus der Zeit heraus erzählt – und eröffnet gerade dadurch dem Zuschauer die Möglichkeit, Parallelen zur heutigen Zeit zu ziehen, ohne ihn zu vergewaltigen. Chapeau!
Fazit:
Diese Entdeckung darf man nicht verpassen. Packendes, intelligentes und anregendes Musiktheater.
Werk und Inhalt:
Als eine «Satire mit Musik» bezeichnete Ernst Krenek seine 1930 komponierte Oper «Kehraus um St. Stephan», für die er auch das Textbuch verfasste. Mit kritischem, aber auch durchaus witzigem Blick auf die Zeit, gestatete Krenek eine intelligente, spannende und kurzweilige Analyse einer Gesellschaft, die keine Moral mehr kennt, am Abgrund tanzt. Damit passt das Stück wie angegossen in die heutige Zeit, man braucht es nicht einmal zu aktualisieren, um die Parallelen zu erkennen.
Vieles ist kaputt in der Welt der ehemaligen k.u.k. Monarchie. Der Krieg ging verloren, ein neues Unternehmertum, welches sich nicht scheut über Leichen zu gehen, breitet sich aus. Der ehemalige Adel und die Offiziere sind heimatlos geworden, die jungen Leute versuchen ihr Glück zu finden, indem sie sich in jeglicher Form prostituieren.
Die Musik Kreneks ist äusserst abwechslungsreich und farbig – sie wechselt vom mit Ariosi durchsetzten Konversationston zu innigen, gefühlvollen, auch religiösen Momenten, greift immer wieder rhythmisch vertrackte Tanzelemente auf, erinnert manchmal (gerade auch im moralisierenden Schluss) an Richard Strauss und Franz Schreker.
Seit seinem Erstling Jonny spielt auf, galt Krenek als entarteter Künstler, Kehraus um St. Stephan wurde nicht wie geplant 1930 in Leipzig uraufgeführt sondern erst 1990 in Wien.
Für art-tv: © Kaspar Sannemann, 28. September 2008