Die Geschichte ist bestens bekannt: In Beverly Hills begegnen sich der Firmenplünderer Edward Lewis und die Prostituierte Vivian Ward. Er engagiert sie als Begleiterin für eine Woche. In dieser Zeit entwickelt sich eine Beziehung, die ihr Leben verändert. Oft wurde die Geschichte mit Aschenputtel verglichen: Die Parallelen sind unverkennbar und die Wirkung auf die Menschen auch, wie sich eindrücklich im Theater 11 zeigt.
Eine der beliebtesten Liebesgeschichten Hollywoods als Musical
PRETTY WOMAN – THE MUSICAL
Eine Kritik von Alain Ziehbrunner
Vortreffliche Adaption
Um es vorweg zu nehmen: Jerry Mitchell ist es vortrefflich gelungen den Film zu einem Bühnenstück zu transformieren, die mit eigener Bildsprache und den typischen Elementen des Theaters spielt.
Da viele verschiedene Schauplätze vorgesehen sind, muss das Bühnenbild variabel sein. Die detailreichen Elemente schaffen Innen- und Aussenräume, Eleganz und Hinterhof-Atmosphäre. Mit Leben erfüllt wird alles durch ein Cast, der mit seiner starken Bühnenpräsenz pralles Leben, snobistische High Society-Oberflächlichkeit oder herzerwärmende Nähe schafft. Die eingängigen Melodien unterstützen die Handlung und wecken Emotionen, so, wie man dies bei einem guten Musical erwarten darf. Die Choreografien sind ideenreich und überraschten immer wieder.
Grosse Namen zeichnen verantwortlich
Die enorme Aufgabe für den Regisseur und Choreografen, Jerry Mitchell, bestand darin, das Stück aus den grossen Fussstapfen des Filmes treten zu lassen und eine eigenständige Bühnenfassung zu schaffen. Der Regisseur des Filmes, Gerry Marshall und der Drehbuchautor J. F. Lawson wirkten unterstützend für die Neuinszenierung und Bühnenadaption mit. Die Kostümentwürfe und wenige Musikelemente des Filmes wurden übernommen. Bryan Adams, der auf eine lange Karriere und viele Preise zurückschauen kann, komponierte die Musik und die Songs des Musicals.
Bestens gecastete Hauptdarstellende
Paige Fenlon, als Vivian Ward – die Pretty Woman –, spielt sich in die Herzen der Zuschauenden. Sie entwickelt sich im Laufe der Geschichte von der blassen, milieugeschädigten Sexarbeiterin, die mit billigen Kleidern und abgedroschenen Phrasen auf ihr Umfeld reagiert, zur selbstbewussten, durchaus auch verletzlichen Frau, die weiss, was sie will und wie sie ihr Leben gestalten möchte. Diese Transformation spiegelt sich in Haltung und Stimmführung wider, die im Laufe des Stückes immer raumausfüllender eingesetzt wird.
Auch Edward Lewis, gespielt von John Addison, macht eine gewaltige Persönlichkeitsveränderung durch. Er, der Firmen nur kauft, um sie gewinnbringend zu zerstückeln und Frauen oberflächlich als Zierrat betrachtet, entdeckt seine Warmherzigkeit und entwickelt sich zum Mann, der erschafft, statt zerstört. Besonders seine Lieder prägen sich beim Publikum ein, denn sie offenbaren seine Emotionen äusserst subtil. John Addisons Stimme ist wie geschaffen hierfür! Die Reaktionen des Publikums sind dementsprechend enthusiastisch.
Annell Odartey, die Vivias Freundin Kit de Luca darstellt, sticht durch ihren umwerfenden Gesang hervor. Die Wärme, Kraft und Fülle ihrer Stimme durchdringt alles im Raum und berührt die Zuhörenden. Gerne würde man ihr noch viel länger zuhören!
Die undankbare, da unsympathische, Rolle des schmierigen Philip Stuckey, bringt Stuart Maciver trefflich rüber. Er ist für die Handlung sehr wichtig und musste vom Film übernommen werden. Das Publikum würdigt die schauspielerische Leistung, der man in jedem Moment die Gier und Oberflächlichkeit eines Kleingeistes abnimmt.
Im Film nimmt der Besuch der Oper La Traviata eine Schlüsselrolle ein. Selten sind klassische Stimmen im Musical zu hören. Noah Harrison und Lila Falce-Bass haben diesen Part inne und beeindruckten. Dass eine so reine Stimme, wie die von Lila einem Finale mit heroischen Gesten und Happy-End den besonderen Glanz verleiht und daher ein zweites Mal eingebaut wurde, ist ein weiterer Geniestreich von Regisseur Jerry Mitchell.
Last but not least ist die Verschmelzung der Rollen vom Happy Man und Mr Thompson dem Ideenreichtum des Regisseurs du verdanken. Dadurch erhält Graham McDuff eine zentrale Rolle im Stück und fungierte als roter Faden des Musicals. Seine umwerfende Spiellust, die markante Bühnenpräsenz und die Wandelbarkeit sowie seine tänzerischen Fähigkeiten lassen den Funken rüberspringen. Ihn als Publikumsliebling zu bezeichnen, ist kaum eine Übertreibung!
Fazit: Eine Inszenierung, die Musical-Liebhaber:innen gesehen haben sollten.
Man darf durchaus bei Filmadaptionen kritisch sein. Hier ist diese Zurückhaltung unnötig. Wer bis Anfang Mai einen Besuch im Theater 11 plant, darf sich auf einen unterhaltsamen Abend, spielfreudige Schauspieler:innen und Tänzer:innen und eine Handlung freuen, die – wenn auch meist bereits geläufig – das Herz berührt. Wie Aufzüge, Hotelgänge, Luxuskarossen oder ein Schimmel auf die Bühne gezaubert werden, sei hier aber nicht verraten …