Was ist gerecht und richtig, was ist verbrecherisch und falsch? Diesen zeitlosen Fragen geht die Regisseurin Annette Windlin mit rund 70 Mitwirkenden in ihrer Inszenierung von Friedrich Schillers «Wilhelm Tell» nach. Einmal mehr in ihrer über hundertjährigen Geschichte bringt die Tellspielgesellschaft Altdorf das in der Schweiz wohl bekannteste Theaterstück der deutschen Literatur auf die Bühne des Tellspielhauses in Altdorf.
Die Altdorfer Tellspiele versetzen Tradition in die Gegenwart
Künstlerische Leitung und Regie
Annette Windlin absolvierte nach der Dimitrischule eine klassische Ausbildung zur Schauspielerin und später zur Theaterpädagogin an der Hochschule für Musik und Theater ZHdK Zürich. Seit mehr als 30 Jahren gestaltet sie als Schauspielerin, Regisseurin, Theaterpädagogin und als Theaterautorin das Theaterleben der Zentralschweiz mit. 1994 gründete sie ihre eigene Theatertruppe, mit der sie seither zahlreiche Tourneeproduktionen realisiert hat, dazu kommen unzählige Projekte mit diversen professionellen Ensembles und Laien-Theatergruppen. 2008 wurde Annette Windlin mit dem Anerkennungspreis des Kantons Schwyz und 2010 mit dem Innerschweizer Kulturpreis ausgezeichnet. 2017 hat sie einen Recherchebeitrag der selektiven Projektförderung des Kantons Luzern und einen Werkbeitrag des Kantons Schwyz erhalten. Sie arbeitet als Dozentin an der Pädagogischen Hochschule in Schwyz und leitet da die Fachstelle und den Studiengang Theaterpädagogik. Annette Windlin arbeitet sehr eng mit ihrem künstlerischen Team zusammen, das seit Jahren seine Professionalität und Kreativität in äusserst zahlreichen Projekten unter Beweis gestellt hat und sich sehr auf die Herausforderungen der Tell-Inszenierung 2024 freut.
Tellspielgesellschaft
Seit 1899 interpretieren Spielleute der Tellspielgesellschaft Altdorf im Abstand von etwa vier Jahren Schillers TELL jeweils aus dem Zeitgeist heraus neu. Die Tellspiele Altdorf sind damit eines der ältesten Laientheater der Schweiz und eines der bedeutendsten kulturellen Ereignisse im Kanton Uri. 1898 hatte die Volksversammlung im Gemeindehaus Altdorf beschlossen, Schillers WILHELM TELL auf dem klassischen Boden ihrer Heimat aufzuführen. Am 25. Juni 1899 fand die erste Aufführung durch den «Verein für Tellaufführungen» im eigens dafür aus Holz erbauten «Tellspielhaus» statt. Regisseur war Gustav Thiess aus Wien, damals Direktor des Stadttheaters Luzern.
Regiegrössen in Altdorf
Viele namhafte Regisseurinnen und Regisseure realisierten Friedrich Schillers Tell in Altdorf, die letzten Ausgaben Philipp Becker (2016), Volker Hesse (2008 & 2012), Louis Naef (2004), Barbara Schlumpf (1998) und Franziska Kohlund (1988, 1991, 1994). «Freiheit beginnt im Kopf» war 2016 das Leitmotiv und rückte das Gemeinsame anstelle des einzelnen Helden ins Zentrum. Seit 47 Jahren ist Rolf Derrer, der 1995 mit dem Hans- Reinhart-Ring ausgezeichnet wurde, für das Lichtdesign verantwortlich. Auch 2024 wird er wieder dabei sein. Nachdem das alte Tellspielhaus 1915 abgerissen wurde, konnte 1925 ein neues eingeweiht werden. Kürzlich stimmten über 80% der Altdorfer und der Urner Bevölkerung dafür, das Haus bis 2030 komplett zu renovieren. 2023 wurde die Tellspielgesellschaft Altdorf mit dem Schweizer Preis Darstellende Künste ausgezeichnet.
Tell 2024 – Ein Erlebnis
Der Verein wird aktuell von der ehemaligen Regierungsrätin des Kantons Uri, Barbara Bär-Hellmüller, präsidiert. Neben dem professionellen Regieteam sowie unzähligen Helfer:innen spielt ein eigenes Tellspiel-Orchester und auf der Bühne stehen bis zu 100 Laiendarsteller:innen. 2024 feiert die Tellspielgesellschaft Altdorf ihr 125-jähriges Jubiläum. Annette Windlin, die als Regisseurin für die 2020 und 2021 pandemiebedingt ausgefallene Aufführung vorgesehen war, ist für das Jubiläumsstück verantwortlich. Dank Reduktion und Perfektion ist ihr eine wirklich starke Inszenierung gelungen, wie sie die Tellspiele in den letzten Jahren schon lange nicht mehr auf die Bühne bringen konnten. Insbesondere merkt man auch, dass es Windlin wichtig war, Schillers Stück verständlich zu erzählen. Dementsprechend wurde anscheinend grossen Wert auf die Sprache der Laienschauspieler:innen gelegt. Ein grosser Verdienst! Das ist aber nicht das einzige Plus Ihrer herausragenden Inszenierung. Bestechend sind vor allem auch das Bühnenbild und die eigens für das Stück neu konzipierte Musik. Und dann ist da noch die Sache mit den Frauen. Diese in Schillers Drama mehr in den Mittelpunkt zu rücken, das haben schon viele vor ihr versprochen und versucht, ihr ist es völlig unverkrampft gelungen: Der Melchtal ist jetzt eine Melchtalerin und der Tellenbub ein Tellenmädchen. Und das ist gut so.