Mit «Das Luftschiff – Heimsuchung in Drag» bringt Astride Schläfli mit ihrem Collectif barbare ein eigensinniges Musiktheater auf die Bühne, das Fantasie gegen Verhärtung setzt und Gemeinschaft gegen Ausgrenzung behauptet. Der Text stammt von X Schneeberger aka X Noëme, Schweizer Buchpreisgewinner:in 2021, uraufgeführt mit Michael Wolf in der Hauptrolle. Entstanden ist ein ebenso poetisches wie trotziges, aber auch humorvolles, Bühnenereignis über das Anderssein in Zeiten des Rechtspopulismus.
Das Luftschiff – Heimsuchung in Drag
- Publiziert am
Eine alternde Dragqueen packt ihr Leben in Koffer – und hebt mit Humor, Musik und Imagination ab
Kurzgeschichte der Drag Queens
Drag Queens sind keine Erfindung der Gegenwart. Ihre Wurzeln reichen bis ins Theater der Antike und der Renaissance zurück, wo Geschlechterrollen bewusst gespielt und überschritten wurden. Im 19. Jahrhundert wurde Drag erstmals zu einer selbstbestimmten Praxis: Die Geschwister Swann verwendeten den Begriff «Drag Queen» als Zeichen von Freiheit und Sichtbarkeit.
In den 1920er-Jahren stand Drag für Glamour und urbane Emanzipation, wurde jedoch in der Zeit des Faschismus brutal verdrängt. Ab den 1960er-Jahren – spätestens mit Stonewall 1969 – wurde Drag wieder politisch: laut, sichtbar und widerständig. Während der AIDS-Krise der 1980er-Jahre übernahmen Drag Queens zentrale Rollen in Solidarität und Selbsthilfe.
Heute bewegt sich Drag zwischen Popkultur und Performancekunst. Trotz Mainstream-Erfolg bleibt sie eine Kunstform des Widerstands – und ein lebendiger Ausdruck von Selbstentwurf, Gemeinschaft und Freiheit.
Eine Mansarde, ein Mob und der Himmel als letzter Ausweg
In einer retro-futuristischen Metropolis lebt eine alternde Dragqueen zurückgezogen in einer Dachmansarde. Das Leben: verstaut in Koffern. Nicht aus Sentimentalität, sondern aus Notwendigkeit – Wohnraum ist prekär, das Klima apokalyptisch, und auf den Strassen ist ein diffuser Mob auf der Jagd nach jenen, die nicht ins Raster passen. Fluchtwege? Keine mehr. Weder hinein noch hinaus. Es bliebe die Luft. Tant pis.
Doch die Mansarde füllt sich: Freund:innen tauchen auf, erzählen, singen, lachen. Erinnerungen, Bilder, Lieder und Fantasien überlagern sich. Was ist Imagination, was Realität? Sicher ist nur eines: Die Dragfamily hält zusammen – und wird selbst zum rettenden Luftschiff.
Drag als Geschichte, Haltung und Widerstand
Das Luftschiff verankert seine poetische Erzählung in einer langen, politischen Geschichte von Drag. Seit dem 19. Jahrhundert steht Drag für Selbstermächtigung, für das Recht auf Sichtbarkeit und für die Feier der eigenen Freiheit. Gleichzeitig war Drag immer auch Projektionsfläche von Angst, Hass und Repression – je nach Zeitgeist.
In Zeiten des wiedererstarkenden Rechtspopulismus wird Drag hier explizit als Haltung lesbar: als künstlerische Praxis, die sich Vereinfachung, Ausgrenzung und Gewalt widersetzt. Als «trotzige Anprobe» im eigenen, überbordenden Walk-in Closet: Kostüme wie Souvenirs, fremde Federn aus Träumen und Filmzitaten, gequeert mit musikalischen Hommagen und Femmages. Aus der Dachkammer des Prekariats wird das glamouröse Boudoir einer Diva – ein Schutzraum, in dem niemand zurückgelassen wird.
Collectif barbare: Musik, Maschinen und poetische Radikalität
Regisseurin, Komponistin und Pianistin Astride Schläfli verbindet live gespielte Musik, Stimme, Text, Maschinen und Klang zu einer dichten theatralen Erfahrung. Ihre Arbeiten leben von Humor, schrägen Bildern und einer besonderen Liebe zum Analogen. Für Das Luftschiff umgibt sie sich mit einem interdisziplinären Team, das Klangkunst, Bühnenbild, Stimmen und technische Wunderwerke zu einem vielschichtigen Ganzen fügt.
Michael Wolf trägt diese Welt als zentrale Figur – mit grosser Präsenz, Wandlungsfähigkeit und einer Spielfreude zwischen Melancholie und befreiendem Lachen.

