Dirk Bach und das Ensemble des Stadttheaters Bern verführen zu einem Sommernachtstraum voll knisternder Erotik.
Bern | A Midsummer Nights Dream
- Publiziert am 27. April 2009
Kritik:
Wenn man in der Schweiz in dieser an interessanten Aufführungen reichen Saison auch nur eine Opernproduktion gesehen haben muss, dann ist es dieser MIDSUMMER NIGHT’S DREAM im Stadttheater Bern.
Regisseur Anthony Pilavachi, das spielfreudige, junge Ensemble des Berner Theaters und das die nicht einfache Partitur differenziert auslotende Berner Symphonieorchester unter Dorian Keilhack, bereiten dem Publikum einen unterhaltsamen, erotischen Opernabend, der anlässlich der Premiere zu Recht heftig bejubelt wurde. Das Stadttheater Bern verfügt über das hochkarätige Ensemble, welches eine solch darstellerisch frische und glaubhafte Inszenierung überhaupt erst möglich macht. Nur zwei Gäste waren nötig, ein Countertenor (Robert Expert) für den Oberon und ein Schauspieler für den Puck (der deutsche Entertainer Dirk Bach). Sie fügten sich hervorragend in dieses traumhafte Ensemble ein.
Anthony Pilavachi blieb sehr eng an Shakespears Vorlage, diesem erotischsten Stück des grossen Dramatikers. Der Regisseur scheute sich nicht, die Begierden, die unerfüllten Wünsche und Sehnsüchte der Personen aufzudecken. Und dank den aussergewöhnlich starken (und auch attraktiven!) Darstellerinnen und Darstellern gelang ihm dies äusserst überzeugend. Ausgehend von einer Pantomime in einer Strassenschlucht (zweckmässige Bühne und wunderbare Kostüme: Tatjana Ivschina), wo ein Strassenkehrer (Dirk Bach) eher lustlos seiner Arbeit nachgeht, dann durch den Duft einer nachlässig weggeworfenen Blume in eine Art Tagtraum verfällt, entwickelt das Regieteam einen tiefsinnigen, von erotischem Zauber durchsetzten Reigen.
Dirk Bach ist vom ersten Augenblick an ein durch Mimik, Sprache und Gestik überragender, fantastisch witziger Puck, der ohne billigen, anbiedernden Klamauk auskommt. Es ist ein grosses Glück, ihn in dieser Rolle erleben zu dürfen. Doch auch die Mitglieder und Gäste des Berner Ensembles stehen nicht in seinem Schatten: Robert Expert vermittelt durch sein Spiel und die sanft geführte Countertenorstimme geschmackvoll die Androgynität des bisexuellen Oberon, Helène Le Corre ist eine bezaubernde Titania, die mit glockenreinen Koloraturen aufwarten kann, die Liebespaare (Andries Cloete, Qin Du, Robin Adams und Anne-Florence Marbot) kann man sich realer und aktueller kaum vorstellen. Ihre Liebesspiele – in allen möglichen Kombinationen(!), ihre Eifersüchteleien und Versöhnungen wirken ausgesprochen echt, sind von knisternder Erotik. Von umwerfender Komik sind die Szenen mit den Handwerkern: Carlos Esquivel ist ein herrlich tollpatschiger Bottom, Esel (der unglaublich lange braucht, um sich seines omnipotenten Gliedes bewusst zu werden) und Pyramus. Stuart Patterson ersingt sich einen Extra-Applaus für seine amüsante Darstellung der Thisbe. Richard Ackermann, Michael Leibundgut, Xavier Rouillon und Erwin Hurni komplettieren die lustige Truppe. Weniger Freude an diesem Spiel hat die arrogante, zickige Hippolyta von Claude Eichenberger, während ihr Theseus (Tomasz Slawinski) das Ganze mit viel Humor und Grossherzigkeit nimmt. Schlag Mitternacht ist der Traum der jugendlichen Liebeswirren vorbei, die Paare befinden sich nun mit Stützstrümpfen und Strickjacken im Altenheim. Oberon und Titania segnen ihre Träume, Puck, der Strassenkehrer fegt die letzten Traumpartikel fort … Ein traumhafter Opernabend geht zu Ende.
Fazit:
Diesen erotischen Traum MUSS man erlebt haben! Zauberhaft in jeder Beziehung!
Inhalt:
Der Elfenkönig Oberon begehrt den Lustknaben seiner Gattin Titania. Deshalb beauftragt er den Kobold Puck, seiner Gattin einen Saft in die Augen zu träufeln, damit sie sich in den erstbesten Dahergelaufenen verguckt. Gleichzeitig flüchten zwei Paare in den Zauberwald: Lysander und Hermia, weil sie vor dem strengen Vater Hermias fliehen, der ihre Beziehung nicht toleriert, sowie Demetrius und Helena. Helena liebt zwar Demetrius und folgt ihm wie ein Hündchen, er aber weist sie zurück, da er Hermia nachstellt. Nach Oberons Willen soll Puck nun auch dem Demetrius die Tropfen geben, damit er sich doch in Helena verliebt. Puck aber verwechselt Lysander und Demetrius. So beginnt ein Spiel um Irrungen und Wirrungen, echten und geträumten Leidenschaften, erfüllten und unerfüllten Begierden. Titania lässt sich dann mit einem Esel ein (einem Handwerker einer Schauspieltruppe, der von Puck mit den Attributen eines Esels ausgestattet wurde, Kopf und dauererigierter Riesenpenis). Zwischen den Liebespaaren kommt es zu neuen Kombinationen und entsprechenden Eifersuchtsszenen, Oberon kriegt zwar seinen Lustknaben, ist aber erbost über Pucks Fehlverhalten. Schliesslich muss er selbst wieder für Ordnung sorgen. Am Ende finden sich alle Paare wieder, der Traum ist vorbei.
Werk:
Brittens Oper ist eine Verbeugung vor seinem Landsmann Shakespeare und eine Verbeugung vor der Musikgeschichte und den Komponisten, die sich schon vor ihm mit dem Stoff auseinandergesetzt haben, von Purcell über Weber zu Mendelssohn, mit augenzwinkernden Schlenkern zu Donizetti (die Wahnsinnsszene der Lucia ist in dem Spiel Pyramus und Thisbe, welches die Handwerker am Hof des Herzogs von Athen aufführen, persifliert).
Britten stand für Aldeburgh nur ein relativ kleines Orchester zur Verfügung. Aber es gelang ihm auch mit dieser kleinen Besetzung eine poetisch schillernde, vielschichtige Partitur, beinahe wie ein Gemälde mit Pastellfarben. Die Orchestereffekte überlagern die Singstimmen nicht. So entsteht ein dem Sujet entsprechendes, zauberhaft-erotisches Geflecht. Beeindruckend ist die betont wirklichkeitsfremde musikalische Ausgestaltung der Elfenwelt mit Harfen, Celesta und Cembalo.
Musikalische Höhepunkte:
Introduktionen zu den Akten I-III, Waldstimmungen, Dämmerung, Nacht, Morgendämmerung
How now my love, Lysander-Hermia, Akt I
Welcome, wanderer, Oberon Akt I
Come, now a roundel, Titania und Elfen, Akt I
Injurious Hermia, Duett Helena-Hermia, Akt II
Quartett der Liebespaare, Akt III (herrlich aufsteigende Dur-Sequenzen)
Wall, full often, Arie der Thisbe, Akt III (Parodie auf Lucia…)
Für art-tv: © Kaspar Sannemann, 27. April 2009