Der Schweizer Heimatschutz bietet die Gelegenheit, die bewegte Geschichte der Region zu erkunden. Auf geführten Touren werden architektonisch und kulturgeschichtlich bedeutende Bauten vorgestellt. Vertiefende Hintergrundinformationen, Karten und Bebilderungen ermöglichen eine anschauliche Entdeckung – ob direkt vor Ort oder online.
Perlen der Baukultur in Appenzell Ausserrhoden
Der Schweizer Heimatschutz ist die führende Schweizer Non-Profit-Organisation im Bereich Baukultur. Er ist ein Verein mit 27 000 Mitgliedern und Gönner:innen und besteht seit 1905 als Dachorganisation von 25 kantonalen Sektionen. Der Verein setzt sich dafür ein, dass Baudenkmäler aus verschiedenen Epochen vor dem Abbruch bewahrt werden und weiterbestehen. Ebenso fördert er zeitgemässe und qualitativ hochwertige Architektur bei Neubauten.
Heiden – nicht nur klassizistisch-biedermeierlich
Heiden bildet das regionale Zentrum im Appenzeller Vorderland. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts löste sich das Gebiet der späteren Gemeinden Heiden Lutzenberg und Wolfhalden vom Verband des Hofs Thal und bildete seither den östlichen Teil des Landes Appenzell, den Kurzenberg. 1529 nahm das Gebiet die Reformation an. 1652 lösten sich Heiden und Wolfhalden wegen des langen Kirchwegs von der Mutterkirche Thal und bauten eigene Gotteshäuser. Damit zerfiel der Kurzenberg in die drei selbstständigen Gemeinden Heiden, Wolfhalden und Lutzenberg. Ursprünglich lebten die Menschen am Kurzenberg von der Gras- und Milchwirtschaft, dem Wein- und Getreidebau. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts erblühte das Textilgewerbe in Heiden und verhalf dem Ort zu beachtlichem Wohlstand. In dieser Zeit entwickelte sich das Dorf zum handwerklichen und industriellen Zentrum des Appenzeller Vorderlandes. Einen europaweiten Ruf erwarb sich der Ort vor allem durch seine zahlreichen Kurhäuser. Seit 1875 ist Heiden zudem über die Rorschach-Heiden-Bergbahn mit Rorschach verbunden – und damit an das internationale Verkehrsnetz angeschlossen. Am 7. September 1838 brach in einer Schmiede ein Feuer aus, das sich wegen des herrschenden Föhnsturmes rasch ausbreitete. Den Flammen fielen die Kirche, das Pfarrhaus, das Schulhaus sowie 75 Wohnhäuser, Scheunen und Ställe und Fabrikantenhäuser zum Opfer. Bereits im September 1840 waren auf der Brandstätte 58 Häuser neu erstellt. Aus der koordinierten Neuplanung ergab sich eine in einem Rastersystem angeordnete Bebauung in neuem klassizistisch-biedermeierlichem Baustil. Verglichen mit ähnlichen Beispielen in La Chaux-de-Fonds und Glarus darf Heiden zu den bedeutenden städtebaulichen Anlagen im 19. Jahrhundert gezählt werden. Pionierhaft wurden im 20. Jahrhundert wichtige Bauaufträge an Architekten und Ingenieure vergeben, die schweizweit tätig und bekannt waren. Hervorzuheben ist der Ingenieur Beda Hefti (1897–1981), der 1932 in Heiden das Schwimmbad erbaute. Weiter der in Heiden aufgewachsene Architekt Otto Glaus (1914–1996), der ein Jahr lang bei Le Corbusier in Paris gearbeitet hatte und später ein Architekturstudium an der ETH Zürich absolvierte. Seine Häuser der Wohnbaugenossenschaft im Werd waren noch dem regionaltypischen Baustil angepasst. Bei den Nachfolgeprojekten löste sich Glaus von den Tendenzen des Heimatstils und entwickelte mit klaren, spannungsvollen Entwürfen seine eigene Formensprache, die sich stark an Werken von Le Corbusier orientierte. Die funktional geprägten Formen verkörpern die Architektur des «Neuen Bauens» – auch dafür steht Heiden.
Teufen – die stadtnahe Lage beschert Wachstum
Von St. Gallen her wurde das Gebiet um Teufen, das landwirtschaftlich interessant war, im 13. Jahrhundert besiedelt. Der Ortsname «Tiuffen» erscheint erstmals in einer Urkunde des Klosters St. Gallen von 1272. Als «ampte ze Tüfen» bildete das Gebiet einen äbtischen Verwaltungsbezirk mit eigenem Ammann. 1377 gehörte Teufen zu den vier Appenzeller «lendlin», die in den Schwäbischen Städtebund aufgenommen wurden. Nach den Appenzeller Freiheitskriegen (1401–1429) wurde es eine Rhode des neu gebildeten Landes Appenzell. Kirchgenössig waren die Leute von Teufen bis 1479 teils nach St. Laurenzen, teils nach St. Georgen in St. Gallen. Seither ist Teufen eine selbstständige Pfarrei mit eigener Kirche. Die Gemeinde umfasste damals 77 «Feuerstätten», Wohnhäuser mit Herdstelle und Ofen. 1723 spaltete sich Bühler als eigenständige Gemeinde ab. Seit dem späten 18. Jahrhundert wurde Teufen, das 1597 noch als arme, wenig bevölkerte Rhode galt, eine der reichsten Gemeinden des Kantons Appenzell Ausserrhoden. Die Grundlage für den Aufschwung bildete das Textilgewerbe. Das Dorfzentrum wurde zum Fabrikantendorf, was die stattlichen Wohn- und Geschäftshäuser aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert noch immer bezeugen. Im 20. Jahrhundert wurde die Siedlungsentwicklung zunehmend von der Nachbarschaft zur Stadt St. Gallen geprägt. Typisch für die Zeit bis 1940 waren Villenbauten für Natur- und Zahnärzte in der Lustmühle und in Niederteufen. Ab 1950 wurde diese bis dahin durch Streusiedlung geprägten Gebiete zu Ortsteilen mit Vorstadtcharakter. Mit dem folgenden Bauboom wurden die verkehrsnahen Gebiete im Laufe der Zeit erschlossen und bebaut, wobei Grünflächen verschwanden. Mit der dichten Besiedlung entstand ein zufälliges Nebeneinander verschiedener Baustile mit individuellen architektonischen Vorlieben.
Rehetobel – Die textile Heimindustrie prägte das Dorf
Das Gebiet von Rehetobel war im 14. und 15. Jahrhundert mit Weilern wie Klingenbuch, Robach, Michlenberg, Lobenschwendi, Langenegg, Halden, Buechschwendi, Berstang und Hof besiedelt. Rehetobel gehörte kirchlich zunächst zu Trogen, strebte jedoch die Eigenständigkeit an. Die Frage, in welchem der Weiler die neue Kirche gebaut werden sollte, führte zu lebhaften Diskussionen. Die «Rechtöbler» entschieden sich für den Weiler «Hof». Nach dem Bau der ersten Kirche 1669 und der gleichzeitigen Gründung der Gemeinde erhielt Rehetobel allmählich das Erscheinungsbild eines Dorfes. Das Gemeindeleben wurde damals massgeblich von Händlern und Fabrikanten geprägt – es war die Blütezeit der Textilproduktion in der Gemeinde. Mit dem Niedergang der Textilindustrie in der Ostschweiz setzte anschliessend eine starke Abwanderung junger Menschen ein, sodass die Einwohnerzahl bis 1980 auf 1416 Personen zurückging. Das heutige Dorfbild im Zentrum geht auf den Wiederaufbau nach zwei Dorfbränden zurück: 1796 waren die Häuser östlich der Kirche betroffen, 1890 die Kirche und die westlich davon gelegenen Häuser. Die Gebäude in den ältesten Quartieren wurden anfänglich im appenzellischen Baustil als Holzbau in Strickbauweise erstellt. Es waren Weberhäuser, in den Kellergeschossen mit bis auf das Terrain reichenden schmalen Fensterbändern auf der Hauptfront, die mit hochklappbaren Fensterläden verschlossen werden konnten. Mit der aufkommenden maschinellen Stickerei-Industrie wurden im Dorf viele Keller ausgebaut, um Platz für die grossen Maschinen zu schaffen. Dem wirtschaftlichen Aufschwung und der Bevölkerungsentwicklung folgend, entstanden danach für die Sticker die moderneren, kubischen Holzbauten in Ständerkonstruktion mit hohen Einzelfenstern. Diesen Häuser gemeinsam sind die hohen gemauerten Erdgeschosse für die mächtigen Stickmaschinen. So bildeten sich entlang der Strassen und Wege kompakte, dichte Häuserreihen mit ähnlichen Gestaltungsmerkmalen. Wo Platz vorhanden war, legte man zwischen Haus und Strasse einen kleinen Vorgarten an. Einen Dorfplatz gibt es in Rehetobel nicht. Mit den hohen, schmalen und in Reihen angeordneten Häusern wirkt die Besiedlung wie ein in die Landschaft eingebettetes Textildorf, wie es in dieser Einheitlichkeit in anderen Dörfern des Appenzellerlandes nicht vorkommt. Das Ortsbild ist als Sinnbild der historischen Blütezeit der Textilindustrie im Appenzellerland von grosser Bedeutung. Erst mit der wirtschaftlichen Diversifikation und der aufkommenden Pendlermigration nach 1980 stieg die Bevölkerungszahl wieder leicht an. Mit planerischen Massnahmen förderte der Gemeinderat die Baulanderschliessung im Gebiet Sonnenberg. Es entstanden Siedlungen mit individuell gestalteten Einfamilienhäusern, ohne sichtbaren Bezug zueinander. Das Siedlungsbild gleicht vielen anderen in Dörfern und Städten und steht im Kontrast zu den alten Ensembles im Dorfkern.
(Textgrundlage: rundgaenge.heimatschutz.ch)