Das Herbst-Master-Symposium des Institut Kunst Gender Natur HGK der Fachhochschule Nordwestschweiz ist Künstler:innen und Denker:innen gewidmet, deren Arbeit sich mit der Bedeutung des Nacherzählens und der Neuinterpretation von Geschichten und Mythen befasst, die Identität und Geschlecht mit all ihren ökologischen und spektralen Verstrickungen intakt halten.
«On Gender, Storytelling, and Myth» ein Symposium mit Livestream der Fachhochschule Nordwestschweiz
- Publiziert am 7. November 2022
Nacherzählen, mitdenken und mitgestalten – Künstler:innen und Denker:innen diskutieren über die (antikoloniale) Kraft des Geschichtenerzählens
Tag 1 | 10. November 2022
10:00 Begrüssung: Chus Martínez & Quinn Latimer
10:15 Lesung von Quinn Latimer
10:25 Tessa Mars, performativer Talk
11:00 Saodat Ismailova, Screening und Gespräch
14:00 Acaye Kerunen, Performance Talk und Gespräch
14:45 Jumana Emil Abboud, Lesung und Gespräch
15:30 Bani Abidi, Keynote Präsentation
16:15 Tracey Rose, Artist Talk (online)
17:00 Round up TAG I von Chus Martínez & Quinn Latimer
Tag 2 | 11. November 2022
10:00 Begrüssung: Chus Martínez & Quinn Latimer
10:10 Lesung von Quinn Latimer
10:20 Sheelasha Rajbhandari & Hit-Man Gurung, Artist Talk
11:00 Françoise Vergès, Talk (online)
11:40 Christian Campbell, poetische Lesung
14:00 Begrüssung: Chus Martínez & Quinn Latimer
14:10 Astrit Ismaili, performativer Artist Talk
14:50 Marie Hélène Pereira, kuratorisches Gespräch
15:30 Kara Springer, performativer Artist Talk
16:00 Ruanne Abou-Rahme & Basel Abbas, Screening und Gespräch (online)
16:40 Round up DAY II von Chus Martínez & Quinn Latimer
In Erinnerung an Etel Adnan
Etel Adnan schrieb einmal gespenstisch und spektakulär: «Berge sind Raumschiffe». Und: «Berge sind Frauen.» Was sonst sind Berge? Was sonst Frauen*? Wessen Raumschiff? Und warum diese in einer Geschichte zusammenfassen? Sich kritisch und virtuos mit der Welt auseinanderzusetzen, das heisst sie aus solchen mythischen und anti-hegemonialen Positionen heraus zu erzählen und damit zu erschaffen, bedeutet, sich mit kolonialen Geschichten und neokolonialen Realitäten auseinanderzusetzen sowie mit deren Verleugnung angestammter und spekulativer Wahrnehmungs- und Gestaltungsweisen eben dieser Welt. Mythen – Erzählungen, die wir als Mytho-Historiographien oder kritische Fabulationen bezeichnen könnten – überschreiten oft koloniale Binaritäten und bieten lebensschaffende Sprachen, die sich der Fiktion und Fantasie, der Poesie und des Gesangs bedienen. Viele dieser Mythen sind älter als die von der Hetero-Moderne auferlegten Systeme und ihrer Patriarchisierung unserer grundlegendsten Geschichten.
Geschichten als Fiktionen des Selbst
Es gibt unzählige Gründe, warum das Erzählen von Geschichten über Identität und ihre vielen Avatare wieder verstärkt theoretisch behandelt wird. Denken wir nur an die Autofiktionen, die sowohl die zeitgenössische Literatur als auch die bewegten Bilder beherrschen, oder an die digitalen Technologien, die uns jeden Tag dazu bringen, uns selbst darzustellen, indem wir uns für ein bestimmtes Publikum aufschreiben – alles aus wirtschaftlichen Gründen; denken wir, viel früher, an die Erfindung des Buchdrucks und all seine Ökonomien. Jede dieser Technologien und ihre spezifischen narrativen Möglichkeiten haben explizit oder paradoxerweise bestimmte Fiktionen des Selbst gefördert, in denen wir über die eigene radikale Subjektivität in einer kollektiven Welt nachdenken können, in der Raum für echten Widerstand, Experimente, Kollektivität und Nicht-Normativität selten ist. Vielleicht ist das Geschichtenerzählen auch deshalb als wichtige Form und Geste wieder aufgetaucht, weil es sich der endlosen zeitgenössischen Performance des einsamen Selbst widersetzt und den Protagonist:innen stattdessen in einer gemeinschaftlichen Welt älterer Verstrickungen verortet, die zugleich sozial, politisch und ökologisch sind. Schliesslich impliziert das Geschichtenerzählen immer ein Publikum, Empfänger:innen, die durch das Zuhören zulassen, dass die Geschichte durch ihre Rezeption und Erinnerung umgeschrieben wird.
Welt neu erzählen und gestalten
Wenn das Erzählen von Geschichten ein Akt der Verbindung durch die Materialität der Stimme ist, kann dieser Ausdruck manchmal zu einer antikolonialen Kraft werden. Es ist eine, die das gemeinsame Gefühl des Kollektivs betont und gegen die vom Kapital und seinen rassisch-patriarchalischen Ordnungen auferlegte systemische Isolation wirkt. Dieser Stimme zuzuhören ist ein aktiver Akt des Mitdenkens und der Neugestaltung der Welt mit den Erzählenden. Mit diesem Symposium wollen die Veranstaltenden die politische und gnosiologische Bedeutung der Produktion von Geschichten und mythologischen Narratologien betonen. Auf diese Weise sollen die nördlichen Wege der Kodifizierung von Gender überwunden werden – ebenso wie die vielen Hierarchien, die Unterdrückung und Marginalisierung, die sie unterstützen.
Mit Songs to Sound Worlds, Stories to Rewrite Them: On Gender, Storytelling, and Myth wird die Serie von halbjährlichen Master-Symposien am Institut Kunst Gender Natur fortgesetzt, die 2018 mit «Promise No Promises!» ihren Anfang nahm. Das letzte Symposium «Ages of Receivership: On Generous Listening» fand im Frühling 2022 statt. In jedem Symposium werden zeitgenössische künstlerische Praktiken im Kontext von jeweils aktuell relevanten Fragestellungen von politischer, theoretischer, ökologischer, emotionaler, linguistischer oder anderer Natur untersucht und diskutiert.