Im Mittelalter war der See zentrale Drehschreibe eines eng verflochtenen Wirtschafts- und Lebensraumes. Städte schmiedeten Währungsunionen, eine vorindustrielle Arbeitsteilung und Spezialisierung bildete sich heraus, die Kreuzzüge erschlossen den Textil-Fernhandel bis nach Nordafrika und in die Levante. «Mittelalter am Bodensee» ist ein Gemeinschaftsprojekt von Institutionen aus der Bodenseeregion. Der Start erfolgt in St.Gallen, wo die Schau um einen mittelalterlichen Escape Room ergänzt wird.
Historisches und Völkerkundemuseum | Mittelalter am Bodensee
Rund 150 Exponate vermitteln Einblicke in eine Zeit, in welcher der Bodensee ein eng verflochtener Wirtschaftsraum war.
Bewährtes Team und neue Partner
Die aufwendige Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt von Museen und archäologischen Diensten der Bodenseeregion und ist geradezu als eine Hommage an die Städte- und Münzbündnisse in der mittelalterlichen Bodensee-Welt zu verstehen. Der Ausstellungsstart erfolgt im HVM im St.Galler Stadtpark. Nächstes Frühjahr zieht sie dann weiter, auf eine gut zweieinhalbjährige Tournee von Chur bis Schaffhausen. Eben: von den Alpen bis zum Rheinfall. Zur Ausstellung erscheint eine reich illustrierte Begleitpublikation.
Der einende Bodensee
Die Ausstellung knüpft an eine Reihe von archäologischen Ausstellungen zu den Pfahlbauern, Kelten, Römern und Alamannen an. Zuletzt war «Stadt, Land, Fluss – Römer am Bodensee» zu sehen. Jetzt macht das internationale Projektteam den Sprung ins Mittelalter. Beim Stichwort «mittelalterliche Ostschweiz» denken viele an Klöster und Burgen, an christliche Gläubigkeit und an eine bescheidene landwirtschaftliche Existenzgrundlage. Wirtschaftsräume kommen da weniger in den Sinn. Die Ausstellung jedoch zeigt, wie sich die weiträumig gefasste Bodenseeregion ab dem 12. Jahrhundert rasch zu einem hochkomplexen und prosperierenden Netzwerk von gegenseitigen Abhängigkeiten entwickelte. Über die Kreuzzüge wurde ein lukrativer Fernhandel bis in die Levante, nach Nordafrika und in die Krim erschlossen. Die begehrten Leinentextilien fanden reissenden Absatz, die Städte am See profitierten ebenso wie die zuliefernden Landregionen. Im Gegensatz zu heute trennte der Bodensee die Menschen nicht; er verband sie miteinander, zu einer eng verflochtenen Wirtschafts- und Lebenswelt. Städte bildeten Bündnisse, man einigte sich teilweise auf ein einheitliches Währungssystem und betrieb Landwirtschaft, Handwerk, Bergbau und Handel mit weit entfernten Gebieten.
Eine agrarische, naturnahe Welt
Die Ausstellung lässt die Besucher*innen in eine sinnlich-konkrete Welt eintauchen, die Welt einer Agrargesellschaft. Ihre Lebensbasis bildete die Landwirtschaft. Ihre Materialität war sehr naturnah. So waren z.B. tierische Materialien wie Leder und Knochen viel wichtiger als heute, und Holz war die Zentralressource als Werkstoff, Baumaterial und Energieträger. Weitere Energie lieferten menschliche und tierische Muskelkraft, Wasser und Wind. Die mittelalterliche Welt am Bodensee hatte damit auch ein ganz anderes Alltagstempo als unsere heutige und bezog einen Grossteil ihrer Nahrungsmittel und Rohstoffe aus der Region.
Vom Münzschatz bis zum Altglas-Depot
Auf die Besucher*innen warten zahlreiche archäologische Fundstücke aus der ganzen Region, von den Bündner Alpentälern bis nach Süddeutschland und an den Rheinfall. Sie stammen aus der Zeit von etwa 1000 bis 1500 und erzählen von Landwirtschaft, Handwerk und Handel, Schifffahrt und Alltag. Die Auswahl reicht vom Holzfass bis zum Münzschatz, vom Kinderschuh bis zum Altglas-Depot. Alles, was mit der Wirtschaft am mittelalterlichen Bodensee in Verbindung steht und die Zeit überdauert hat. Sie zeigen nicht das bekannte Mittelalter mit Ritterrüstungen, Hellebarden oder Altarbildern. Es ist ein Mittelalter ausgegraben aus dem Erdboden, geborgen vom Seegrund. Für die Ausstellung in St.Gallen kommen Leihgaben aus dem Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde dazu. Es sind spektakuläre, aussagekräftige Dokumente, die zusätzliche Fenster in diesen Wirtschafts- und Lebensraum öffnen – z.B. mit einem Salzdiebstahl (1442) und einem Betrugsfall mit einem gefälschten Qualitätssiegel für St.Galler Leinwand (1505). Ergänzt werden diese Objekte mit drei Installationen. Ein Wirtshaustisch und ein Markttisch, bedeckt mit allerlei Requisiten, vermitteln einen Eindruck vom damaligen Alltagsleben. Das Stück eines Schiffsstegs, auf dem Waren gelagert sind, lässt erahnen, welche reicher Güteraustausch damals kreuz und quer über den Bodensee herrschte. Der grosse Exportschlager der Region waren im Mittelalter Leinentextilien. Händler exportierten die begehrten Textilien in weit entfernte Gebiete wie Nordafrika, Syrien, in die Champagne und auf die Krim. Bis um die Mitte des 15. Jahrhunderts war Konstanz das Leinenzentrum des Bodenseeraums. danach lief ihr St.Gallen den Rang ab.
Für St.Gallen ein Escape-Room
Ein attraktives Begleitprogramm, das vertiefende Einblicke ins Thema bietet, darf natürlich nicht fehlen. Die Palette reicht von der szenischen Führung bis zum Bierbrau-Kurs. Dazu kommt im HVM eine Attraktion, die in der hiesigen Museumswelt eine Premiere ist: ein mittelalterlicher Escape-Room. Er macht die Ausstellung zum Abenteuer. Die Besucher*innen versuchen, Rätsel aus dem Mittelalter zu lösen.
Textgrundlabge: Historisches und Völkerkundemuseum