Die Kooperation von cirqu’ (Festival für aktuelle Zirkuskunst) und dem Stadtmuseum kombiniert eine zeitgenössische interdisziplinäre Zirkuskunstausstellung mit einer Revue von Fotografien, die Einblick in das Leben berühmter Schweizer Zirkusfamilien vor und hinter den Kulissen von 1930 bis 1980 gewähren. Die Pressebilder aus dem Ringier Bildarchiv zeigen, dass neben dem Krokodil im Publikum, das alltägliche Leben der Trapezkünstlerin im Zirkuswagen besonders interessierte.
cirqu' im Stadtmuseum
- Publiziert am 4. Mai 2021
Von Schlangenbissen bis Krokodil-Begegnungen und Luftakrobatik – die Ausstellung gibt Einblicke in die lange Tradition der Zirkuskunst in der Schweiz.
Internationale Artist*innen aus verschieden Disziplinen verlegen ihren Trainingsraum ins Stadtmuseum und arbeiten vertieft an einem Element.
Sebastian Berger (AT) | 3. bis 16. Mai 2021
Der Jongleur balanciert einen Stab und betrachtet sich im Spiegel: Wie verändert diese Umlenkung des Blickes die Bezüge zu Objekt, Raum und Körper?
Laurence Felber & Nina Wey (CH) | 17. bis 30. Mai 2021
Die Luftartistinnen stellen Bewegungen am Trapez ins Zentrum ihrer Interaktion mit dem Publikum. Im Museum und im Aussenraum.
Marc Oosterhoff (CH) | 31. Mai bis 6. Juni 2021
Paletten türmen, stapeln und ins prekäre Gleichgewicht bringen: Der Künstler greift während seiner Residenz die Auseinandersetzung mit den Kipppunkten einer Paletten-Skulptur auf und arbeitet mit Objekten und seinem Körpergewicht.
Louisa Wruck (DE) | 18. Juni bis 27. Juni 2021
Die Seiltänzerin sucht einen neuen Zugang zu ihrer Praxis: Wie lässt sich das Gleichgewicht trotz Verbiegungen und Verdrehungen des Körpers halten? Ist es möglich über mehrere Stunden auf dem Seil zu stehen, ohne den Fokus zu verlieren?
Zu welchen Zeiten Besucher*innen den Artist*innen über die Schulter blicken dürfen, kommuniziert das Museum auf seiner Webseite.
Das Leben der Stars in der Manege und hinter den Kulissen
40 Pressefotografien aus dem Ringier Bildarchiv blicken zurück in die Zirkuswelt der traditionsreichen Schweizer Zirkusdynastien zwischen 1930 und 1980: Sie zeigen, dass neben den artistischen Höchstleistungen, besonders das Leben der Zirkusleute hinter den Kulissen interessierte. Vom selbsternannten «Nationalzirkus» Knie über die Unternehmung Familie Nock, und Zirkusgesellschaften wie Olympia, Royal oder Stey bis hin zu dem heute kaum mehr bekannten Zirkus Pilatus, dokumentieren die Bilder das Leben der Zirkusfamilien sei es der prominente Einmarsch mit Elefanten und Kamelen oder ein dramatischer Sturz vom Trapez.
Das Spiel mit dem Risiko
Höher, schneller, weiter: Abgelichtet wurden neben den Sensationen in der Manege und Nummern mit exotischen Tieren, auch die speziellen Handgriffe, die es brauchte, um das bunte Zirkuszelt aufzubauen. Das bewusste, aber nicht immer geglückte Spiel mit dem Risiko, wurde ebenso festgehalten wie intime Einblicke in das alltägliche Leben im Zirkuswagen. So birgt das Ringier Bildarchiv zum Beispiel Aufnahmen vom Sturz der 18-jährigen Seiltänzerin Isabelle Nock während eines Auftritts an der Landesausstellung oder von einer gebissenen Schlangenbändigerin vor ihrem rollenden Zuhause. Die Foto-Ausstellung greift spezifische Zirkusthemen der damaligen Zeit auf: So lockten Zirkusdirektor*innen mit fragwürdigen Werbestrategien Publikum ins Zelt. Mit kolonialen Kulturpraktiken wie den sogenannten «Völkerschauen», die bis weit ins 20. Jahrhundert Menschen wie Tiere ausstellten, trugen Zirkusgesellschaften zur Konstruktion und zur Zementierung eines rassistischen Weltbildes bei.
The wonder on the flying Trapez
Die international renommierte Trapezkünstlerin Fritzi Bartoni, sorgte während des Zweiten Weltkrieges mit einem Sprung, den sie nur mit ihrer «graziösen Ferse» auffing, für viel Aufsehen. Die Inszenierung der Luftakrobatin in Pressezeugnissen der Zeit beleuchtet aber auch, dass insbesondere weibliche Zirkusschaffende häufig mit moralischen Vorurteilen konfrontiert waren: Die kühne Luftakrobatin wurde als bürgerliche Hausfrau mit adretter Schürze beim Kochen abgelichtet.
Das Schweizervolk rettet einen Zirkus
Die Foto-Ausstellung holt vergessene Geschichten aus dem Archiv. Der Zirkus Pilatus gab noch 1954 eine Vorstellung im Aarauer Saalbau (heute Kultur- und Kongresszentrum), der 1883 am Schlossplatz errichtet worden war. Dem damals schweizweit bekannten Zirkus drohte 1954 die Versteigerung in Aarau: «Verschiedenen Unglücksfälle, die zweimalige Zerstörung des Zeltes und der regnerische Sommer haben die Lage des Zirkus Pilatus derart beeinflusst, dass schon in wenigen Tagen der Pfändungsbeamte den Hammer schwingen wird, um Zelte, Wagen und Tiere dem Meistbietenden zu verkaufen.» (ATP Bilderdienst, 1954). Dank einer grossen Hilfsaktion und zahlreichen Schweizer*innen, die dem Zirkus mittels Spenden unter die Arme griffen, konnte die Zwangsversteigerung abgewendet werden.
Maschine zur Jonglage-Installation auf 25 Screens
Im Ausstellungsraum zeigt cirqu’ eine installative Ausstellung, die in engem Austausch mit verschiedenen Zirkuskünstler*innen erarbeitet wurde. Die Installationen gewähren Einblick in das vielseitige interdisziplinäre Zirkusschaffen von heute. Artist Jörg Müller zeichnet etwa Balance-Bewegungen als Tanz um eine Mitte auf Papier. Das fragile und doch stabile Palmblattrispen-Mobile von Mädir Eugster lässt Besucher*innen den Atem anhalten und die Diabolo-Maschine von Roman Müller führt ohne menschliches Zutun zirzensische Bewegungen aus.
Text: Stadtmuseum Aarau