Willy Guhl (1915–2004) erfand auch Europas erste Sitzschale aus Kunststoff. Über Jahrzehnte vermittelte der Schweizer einen ganzheitlichen, am Menschen und seinen Bedürfnissen orientierten Gestaltungsansatz: Langlebigkeit, Funktionalität und die Reduktion aufs Wesentliche kennzeichnen seine wohnlichen Innenräume und durchdachten Gebrauchsgegenstände. Die Ausstellung im Zürcher Museum für Gestaltung präsentiert Willy Guhls Schaffen anhand von Entwurfsprozessen, Prototypen, Fotos und Filmen.
Willy Guhl, nehmen Sie Platz!
- Publiziert am 8. Dezember 2022
Selber Flechten, Knüpfen, Knoten
Die Ausstellung im Museum für Gestaltung basiert auf Erkenntnissen aus einem vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Forschungsprojekt und präsentiert neben Entwurfsprozesse, Möbeln und Produktdesign auch Fotos aus Willy Guhls Nachlass. Neben einem Filmporträt von 1985 werden Interviews mit ehemaligen Schüler:innen, u.a. Hansruedi Vontobel, Klaus und Rosmarie Vogt, Robert Haussmann, Carmen Greutmann, Alois Rasser, Pit Wyss, Silvio Schmed oder Stefan Zwicky gezeigt. Das Publikum kann in der Ausstellung Guhls Designdenken auch physisch erleben. Speziell angefertigte, unter anderem von Designstudierenden der École cantonale d’art de Lausanne ECAL entworfene Exponate machen es möglich, sich in seine ergonomischen Sitzschalen zu setzen oder selbst Hand anzulegen und beim Flechten, Knüpfen, Knoten oder Spielen den eigenen Händen beim Denken zuzusehen.
Willy Guhl – Vom Zeichenbrett in die Werkstatt
Willy Guhl hat als Gestalter eine Sonderstellung in der Schweizer Designgeschichte. Er trug sein eigenes Schaffen direkt in die Lehre, und die Themen der Lehre prägten wiederum seine Entwürfe. Die Fachklasse «Innenausbau», wie sie Guhl unter Wilhelm Kienzle an der Zürcher Kunstgewerbeschule (heute ZhdK) in den 1930er-Jahren noch besucht hatte, wurde unter seiner Leitung erweitert zur «Innenarchitektur und Produktgestaltung». Entworfen wurde nicht mehr ausschliesslich am Zeichenbrett, sondern auch in der Werkstatt, wo die Schüler:innen Modelle bauten, um ihre Vorstellungen zu überprüfen. Das direkte Ausprobieren im Material, Entwerfen im Machen ist eine eigene Denkart, die im Ausstellungs-Projekt als «Denken mit den Händen» bezeichnet wird. Als verkörpertes Wissen, das auf der Wahrnehmung aller Sinne beruht, lässt es sich nicht verschriftlichen, sondern kann in Zeichnungen, Modellen oder Fotografien entdeckt werden. Guhl entwarf Paketmöbel in der Kriegszeit, als sich die Schweiz ab 1940 am Wiederaufbau im weitgehend zerstörten Europa beteiligte und Materialien knapp waren. Sein Designansatz und seine Lehre entwickelten sich weiter, von der Hochblüte der «guten Form» in den 1950er-Jahren über den Nonkonformismus der 1970er-Jahre bis zur boomenden Designindustrie der 1980er-Jahre. Guhl blieb sich und seinen Werten treu und war doch stets offen für neue Technologien und die sich wandelnden Herausforderungen der Zeit.