Pilze gibt es in einer grossen Diversität, wobei Schätzungen zufolge davon noch über 90 Prozent unbekannt sind. Transdisziplinär denkend kreieren der Mykologe Patrik Mürner und der Künstler Valentin Beck eine wachsende Installation zum Thema Pilze. Die belgische Künstlerin Isabel Fredeus bringt fliessendes Mycel in den Dachstock und mit Franca Franz und Soetkin Verslype präsentieren sich malerische Positionen aus Deutschland und Belgien.
Pilz. Versuchslabor und Heilsversprechen
- Publiziert am 6. Oktober 2022
Die Welt der Fungi
Pilze gibt es in einer grossen Diversität, wobei Schätzungen zufolge davon noch über 90 Prozent unbekannt sind. Seit 2021 wird das Reich der Pilze auch in der Wissenschaft offiziell als eigener Lebensraum, als «Funga», anerkannt. Das, was wir an der Oberfläche von ihnen sehen, entspricht jedoch nur einem Prozent ihres Wesens – der Grossteil ist für unsere Augen unsichtbar. Und hier beginnt die Faszination: Das Organismenreich, das sich unter- wie überirdisch verbindet ist immens. So bilden sich Verflechtungen, eine Kartografie, die ständig in Bewegung und Transformation ist. Je mehr wir über Pilze erfahren, desto mehr wird bewusst, wie wenig wir über sie wissen oder aber wie vielseitig ihr Nutzen im Hinblick auf eine netzwerkorientierte sowie erdölfreie Zukunft sein kann.
Potentialität des Pilzes
Im Jahr 2021 starteten der Pilzforscher Patrik Mürner (1969 in Meggen, lebt und arbeitet in Emmenbrücke) und der Künstler Valentin Beck* (*1986 in Malters (LU), lebt und arbeitet in Luzern) eine Zusammenarbeit, um die Potenzialität des Pilzes zu visualisieren. Auf die Idee des Object truvé oder Ready-made referierend, findet das Forschungsprojekt im Benzeholz eine erste Umsetzung. In Form einer «Pilz-Wunderkammer», präsentiert sich eine Sammlung von Pilzendprodukten wie Bausubstanz, Leder, Tinkturen, Pillen oder Nahrungsmittel und damit eine Überfülle von Informationen aus Wissenschaft, Pseudowissenschaft oder Naturheilpraktik, in welche die Besucher*innen sich vertiefen können. Das Projekt soll dabei über die Ausstellung hinaus weiterwachsen.
Der Pilz als Heilsversprechen
Franca Franz (*1986 in Darmstadt, lebt und arbeitet in Leipzig) zeigt eine Serie von Ölbildern auf Holz, die Ausschnitte von Lamellen und Poren zeigen und in der Form eines Kirchenfensters installiert werden. In ihrer Ästhetik eröffnet die Arbeit einerseits Assoziationen zum Magic Mushroom, andererseits verweist sie auf die Funktion von sakralen Glasmalereien. Die Künstlerin bezieht sich auf das noch immer zwiespältige Verhältnis zum Pilz, ausgelöst von unserem immensen Unwissen und gleichzeitig gesteigerter Erwartungshaltung. Mit einem kritischen Blick auf den Hype rund um den Pilz überführt Franz die Lamellenmusterungen in einen Glaubenskontext.
Optische Faszination
Soetkin Verslype (*1994 in Leper, lebt und arbeitet in Mariaburg) nutzt ihre Sommer-Residency in Belgien, um Formen und Farben von Flechten an Baumstämmen zu studieren. Dabei steht nicht eine genaue Abbildung des Gesehenen im Zentrum. Vielmehr entstehen vor Ort Malereien, die das unglaubliche Formen- und Farbenspektrum der Pilze aufgreifen und deren Abstraktionsgrad weiter auf das unsichtbare Netzwerk im Wurzelbereich der Bäume verweisen.
Der Fluss des Mycels
In der Installation von Isabel Fredeus (*1991 in Wilrijk, lebt und arbeitet in Kapellen) liegt der Fokus auf dem künstlerischen Blick auf wissenschaftliche Forschung. In ihrer Praxis beschäftigt sich Fredeus mit natürlichen Prozessen, physikalischen Gesetzmässigkeiten und deren Symbolik. In Kollaboration mit einer belgischen Biologin kreiert die Künstlerin eine raumgreifende Skulptur, die aus mehreren Glasgefässen zusammengesetzt lebendes Mycel beheimatet. Damit dieses in der Arbeit lebendig bleibt, wird es in der Skulptur zirkulieren, sich nähren und stärken. Bald wird ersichtlich, dass das Mycel unterirdisch nicht nur für Verbindung sorgt, sondern auch die Kontrolle über den Transport von Nährstoffen übernimmt. (Textgrundlage: Benzeholz)