Der o.T. Raum für aktuelle Kunst in Luzern versteht sich als Experimentierfeld für raumbezogene Arbeiten jüngerer Kunstschaffender. Übergrosse Piercings von Jessica Pooch begegnen derzeit einem Objekt in Schieflage von Katharina Anna Wieser und laden zu gesellschaftskritischen Fragen ein.
o. T. Raum für aktuelle Kunst Luzern | Katharina Anna Wieser und Jessica Pooch
- Publiziert am 9. September 2016
Jessica Pooch – übergrosse Piercings
Wer sich ein Piercing durch Lippen, Zunge oder Nasenwand treibt, fordert eine Verletzung heraus. Darum ist Piercing Beleg einer Mutprobe und gibt den Anschein, sein Träger, seine Trägerin sei von aussen unangreifbar. Da oszilliert der Schmuck mit der Waffe, verteidigt mit scharfen Kanten und hartem Glanz das Weiche von Haut und Körper. Es steckt ein Aufbegehren drin, eine Drohgebärde vielleicht, die dem Schmuck etwas Anrüchiges mitgibt. Und wenn uns o.T. mit einem mächtigen Klemmring empfängt, dann testet die sonst eher schüchterne Architektur eine Auflehnung – gegen sich? Gegen uns? –, fährt einen Stachel aus gegen das Zahme von Kunst. Sie ruft aber auch Handläufe in Erinnerung, Handtuchhalter und Armaturen, die ebenso in Chromstahl glänzen. Mit der Inszenierung dieser unangefochtenen Sauberkeit, einer klinischen Härte, bahnt uns Jessica Pooch einen dichten Weg von Assoziationen. Sie springen alle gleichzeitig auf und kommen ausnahmslos bei unserem Körper an. Und während die überdimensionierten Piercings die Frage stellen, mit welchen Accessoires wir unseren Leib, aber auch unsere Behausungen ausstatten, wie wir Schutz und Potenz zusammenbringen, exponiert sich der o.T. als Provisorium: Seine Wände sind weniger haltbar als das polierte Metall.
Katharina Anna Wieser – ortsspezifische Geste
Wie schon in früheren Arbeiten geht Katharina Anna Wieser von einer unbedingten Ökonomie der Mittel aus. Sie hat die ausgedienten Stellwände, die im o.T. lagerten, zur Basis ihres Handelns gemacht. Sie spielt mit dem mobilen Gedächtnis dieses Orts, der immer wieder Neues aufgenommen, zur Schau gestellt und entlassen hat. Jetzt hat die permanente Anpassung ihren eigenen Auftritt und lädt zur neuen Lektüre bestehender Räume ein. Ihre Begleiter: das Einfache, das Angemessene, der Verzicht auf Geheimnisse; die Anlehnung, die Bezugnahme, das Körpermass. Weil ihr Schaffen gelegentlich im Kreis, im Dreieck oder im Schwarzweiss-Kontrast ankommt, gibt es manchmal eine formale Nähe zur konkreten Kunst. Aber während die Konkreten alle Fasern des Gegenständlichen aus ihrer Bildwelt bannten, um eine reine Wahrnehmung herauszufordern, bleibt Katharinas Installation bewusst im Tatsächlichen hängen. Da ist eine Spanplatte, da sind Schrauben, da erzählt eine Schieflage von Last und Spannung. Ungeschönte Kanten, zufällige Gebrauchsspuren spielen uns flächendeckend Hinwiese zu auf rezykliertes Material.
Das Verschwinden ist absehbar
Wann funktioniert ein Objekt? Vielleicht, wenn es sich beim Vokabular von Architektur bedient, aber statisch den Dachstuhl unterwandert? Wenn es ein Segel assoziieren lässt, aber im windstillen Raum verharrt? Wenn es als Zelt taugen könnte, ohne wirklich Unterschlupf zu bieten? Wenn das Reale Modell bleibt für etwas Drittes? Während sie den Raum einnehmen, uns zum Vergleich aufbieten, das Licht spielen lassen auf ihrer weiss getünchten Selbstverständlichkeit, proben die beiden Objekte den Zustand des Temporären. Darum ist «System» vielleicht gar nicht als Ausstellung zu lesen, sondern als das Auftauchen der zweifachen Ausführung eines Modells. Das Verschwinden dieses Modells ist absehbar. Aber die Erinnerung des o.T. an seine eigene DNA – das Provisorium – ist intensiver geworden, hat ihr eigenes Bild. (Text: Isabel Zürcher)