Die von der Museumsdirektorin Gianna A. Mina in Zusammenarbeit mit dem Kunsthistoriker Marc-Joachim Wasmer und dem Fotohistoriker Thilo Koenig kuratierte Ausstellung «Vincenzo Vela (1820–1891), Poesie des Realen» ist in den Sälen des ersten Stockwerks des Künstlerhaus-Museums zu sehen. Sie ist als Ergänzung zur Dauerausstellung gedacht, wo Modelle der monumentalen Werke des Bildhauers präsentiert werden. Noch bis Mitte September ist eine Videoarbeit von Adriano Kestenholz zu sehen.
Museo Vincenzo Vela
- Publiziert am 27. Juli 2021
Zum zweihundertsten Geburtstag des Bildhauers zeigt das Museum eine Sonderausstellung und unterzieht den Altmeister einer multimedialen Betrachtung.
Der Traum von der Materie
Nach der Präsentation auf verschiedenen Festivals und auf RSI kommt der Film «Vincenzo Vela. Il sogno della materia» (Vincenzo Vela. Der Traum von der Materie) von Regisseur Adriano Kestenholz endlich dort an, wo er entstanden ist: im Museum selbst. Vom 13. Juni bis 12. September 2021 wird die Arbeit in separaten Räumen des Museums täglich zwei Mal gezeigt: in 15-minütigen Schleifen von 11 bis 12 Uhr und von 16 bis 17 Uhr. Die Videoinstallation lädt zu einem ständigen Vergleich zwischen den Modellen und den Arbeiten von Vela ein, die von Licht und Schatten, von Nähe und Distanz leben, in der traumhaften Atmosphäre des Soundtracks von Andreas Pflüger. Die Installation von Adriano Kestenholz ist integraler Bestandteil eines umfangreichen und transmedialen Projekts, das anlässlich des zweihundertsten Geburtstags von Vincenzo Vela gefördert wurde. Dazu gehört auch eine gleichnamige Musikdokumentation sowie eine Reihe von sieben Musikclips, die auf der Play RSI-Website und für Besucher*innen des Museums über QR-Codes an den Wänden abgerufen werden kann.
Die zwei Seelen des Bildhauers
Im Obergeschoss der Villa finden sich Interpretationsschlüssel zur künstlerischen Revolution, die Vela Mitte des 19. Jahrhunderts im Bereich der Skulptur durch die konsequente Hinwendung zum Realen auslöste, ohne dabei die lyrische, intime und ausdrucksstarke Komponente der Darstellung zu vernachlässigen. Ein purpurrot markierter Rundgang verbindet die beiden Ausstellungsbereiche auf ideale Weise und deutet im Erdgeschoss auf jene Skulpturen hin, die im Zusammenhang mit der «veristischen» Poetik des grossen Tessiner Bildhauers besonders relevant sind. Die in zwölf Sektionen gegliederte Ausstellung offenbart die beiden Seelen des Bildhauers: jene des innovativen und vielseitigen Künstlers und die des engagierten, an seiner Zeit interessierten Bürgers. In beiden Bereichen verfolgte Vincenzo Vela seinen Weg mit Entschlossenheit, was ihm schon in jungen Jahren einen beachtlichen Erfolg garantierte. Gezeigt werden, neben einigen Leihgaben, vor allem Werke aus der Sammlung des Museums, insbesondere Gipsoriginale, Zeichnungen, Studienmaterial, Totenmasken sowie plastische Gipsabgüsse und Fotografien, die Vincenzo Vela nicht nur als Vorlage oder Inspirationsquelle dienten, sondern auch als Grundlage zur Entwicklung seines naturalistischen Stils, des «Verismo».
Vincenzo Velas Realismus
Den Besucher*innen bietet sich die einzigartige Möglichkeit, Velas gesamte künstlerische Laufbahn, von seinen Anfängen bis zu seinem letzten Werk, näher kennenzulernen. Die Ausstellung umfasst 360 Exponate, darunter mehr als hundert Skulpturen und etwa zweihundert historische Fotografien, ergänzt durch rund vierzig grafische Werke (Zeichnungen und einige Drucke), die zu den Sammlungen des Museums gehören. Viele Werke sind nach sorgfältiger Restaurierung zum ersten Mal zu sehen. Die Ausstellung präsentiert die grundlegenden Züge des Schaffens von Vincenzo Vela, das ihn als bedeutender Erneuerer der Skulptur um die Mitte des 19. Jahrhunderts auszeichnet. Der Akzent liegt auf seiner innovativen Arbeitsmethode, die das Reale naturgetreu und doch erfüllt von Empfindung, Ausdruck und dem Wahren darstellt. Im Rundgang werden unterschiedliche Elemente vorgestellt, die dazu beigetragen haben, jenen besonderen, für den Tessiner Meister charakteristischen Realismus zu erzeugen. Darunter finden sich seine grossartigen Aktstudien, die auf die malerischen, von der Kritik gelobten Qualitäten verweisen, sowie verschiedene Abgüsse von Gliedmassen und anderen anatomischen Teilen, Nachbildungen von antiken Werken und Totenmasken.
Einzigartige Zeugnisse der frühen Fotografie
Der Bildhauer hat sich nicht nur durch sein Schaffen, sondern auch durch seinen frühen und mehrschichtigen Umgang mit dem fotografischen Medium ausgezeichnet. Diesem Thema ist der zweite Teil der Ausstellung gewidmet, der sich an der reichen und vielfältigen fotografischen Sammlung des Museums orientiert. Die Fotosammlung entstand seit den 1840er Jahren. Sie enthält wertvollste und teils einzigartige Zeugnisse der frühen Fotografie, vor allem in Italien und im Tessin. Sie ist nicht nur die älteste Tessiner Fotosammlung, sondern auch die erste, die 1896 in den Besitz der Eidgenossenschaft gelangte. Die Sammlung besteht aus Kunstreproduktionen, die Vela erworben hat oder geschenkt erhielt, darunter Ansichten von Skulptur und Architektur, auch inszenierte Szenen, die als Künstlervorlagen produziert wurden. In vielen Fällen hat Vela Fotos in Auftrag gegeben, Aufnahmen etwa von eigenen Entwürfen, die er als Hilfsmittel im Arbeitsprozess, für Auftraggeber und als Dokumentation vollendeter Werke benötigte. Portraits von Familienmitgliedern, auch in Alben, sowie einige Bilder zum Zeitgeschehen ergänzen den Bestand.
Text: Tiziana Conte, Museo Vincenzo Vela