Inspiriert von Desireless widmet sich Kuratorin Dorothea Messmer und ihr Team einem Thema, das Künstler*innen seit jeher umgetrieben hat. Die grosse Sommerausstellung stellt herausragende Werke aus der Museumssammlung rund 20 Positionen zeitgenössischer Kunstschaffender gegenüber, die sich in unterschiedlicher Weise vertieft mit dem Reisen auseinandersetzen.
Kunstmuseum Olten | «Voyage, voyage! Über das Reisen in der Kunst»
- Publiziert am 8. Juli 2017
Melancholischer Hauch des Scheiterns und der Enttäuschung
Reisen ist Nahrung für die Sinne, Reisen ist Selbsterfahrung und Spiegelung in der Welt, Reisen ist die Einheit von Impuls und Aktion, Bewegung und Verortung, Eindruck und Ausdruck. Es gibt viele Gründe, warum sich Kunstschaffende in den letzten Jahrhunderten zu beschwerlichen Reisen in die Fremde aufgemacht haben. Ob auf der Grand Tour, als Begleiter*innen einer Forschungsreise oder gar in diplomatischer Mission – immer ging es darum, der eigenen Erfahrungswelt das Andere gegenüberzustellen. Denn Reisen bedeutet mehr als mechanische Fortbewegung: Reisen steht für Selbstbewegung und Veränderung. Reisen ist geprägt von Sehnsucht, lebt von Begegnungen mit dem Ungewissen und von Erlebnissen in ungewohnten Gefilden. Anders als der Ferienaufenthalt bedingt das Unterwegssein die Bekanntschaft mit dem Unbekannten. Viele Künstlerreisen sind daher von vornherein vom melancholischen Hauch des Scheiterns und der Enttäuschung umweht. Denn das unverfälschte Andere, von dem der Pariser Börsianer Paul Gauguin träumte, kann es im Eigenen nicht geben – auf der Reise begegnen Künstler*innen vor allem sich selbst.
Unterwegssein als elementarer Bestandteil
Den Ausgangspunkt für die Oltner Ausstellung bilden ausgewählte Werkgruppen aus der Sammlung des Kunstmuseums. Das Hauptaugenmerk gilt indes zeitgenössischen Kunstschaffenden aus dem In- und Ausland, die das Unterwegssein als elementaren Teil ihrer Arbeit verstehen. So verknüpfen die Basler Kunstschaffenden Cécile Hummel, Sonja Feldmeier und Samuel Buri, aber auch die Deutsche Nanne Meyer, ihre Reiseeindrücke zu Werkzyklen, die sich durch ihr ganzes Œuvre ziehen. Oft sind Reisen mit Recherchen verbunden, die performativen Charakter haben. Beispiele hierfür sind der skulpturale Pavillon «Stultitia II – Floating Folly», den Florian Graf im Jahr 2016 als Hommage an den Humanisten Erasmus von Rotterdam konzipierte und von dessen Sterbeort Basel bis zu seinem Geburtsort Rotterdam den Rhein hinab treiben liess, wobei er unterwegs zu Dialogen und Performances einlud. Oder San Kellers Road-Movie über seinen (missglückten) Versuch, Martin Distelis Nachlass aus der Oltner Museumssammlung mit einem Gemälde von Andy Warhol aus einer amerikanischen Sammlung zu tauschen. Andere Künstler wiederum lassen ihre Werke auf Reisen gehen. Das Spektrum reicht in der Ausstellung von H. R. Fricker, einem wichtigen Vertreter der Mail Art, über Pawel Ferus, der zerfetzte Autopneus durch halb Europa schickte, bis zu Com&Com (Marcus Lossollt / Johannes M. Hedinger) und ihrem Baumstamm «Bloch», der als Repräsentant eines alten Appenzeller Fastnachtsbrauchs um die ganze Welt reist und völkerverbindende Kontakte knüpft.
Reisen im Kopf
Nebst phantasievollen, philosophischen und spielerischen Werken zum Thema des Reisens, wie dem von Sergej Klammer und Sandi Paucic mit Hilfe von befreundeten Künstlern umgebauten, weitgereisten und mit einer Modelleisenbahn bestückten legendären (Kunstreise-) Wohnwagen, oder den Künstlerbüchern von Krassimira Drenska, die zum Flanieren einladen, führen Künstlerreisen auch zu sozial- und gesellschaftspolitischen Untersuchungen: Lena Maria Thüring beschäftigt sich in ihrer Video-Doppelprojektion «Hanjin Palermo» während einer Ozeanfahrt auf einem Containerschiff mit der wirtschaftlichen Situation der Frachtschiffindustrie und setzt die Ergebnisse den Erlebnissen der Crew-Mitglieder gegenüber. David Zehnder geht in seinem kürzlich entstandenen Video «Erfan’s Notebook» auf die Situation eines jungen Flüchtlings ein, der dem langen Warten auf die Weiterreise in einem Gefängnis in der Türkei mit Englisch-Lektionen einen Sinn gibt. Gilles Fontolliet macht als Viel-Reisender anhand von selbst hergestellten Kopien bekannter Sneaker-Marken auf Kultur-Clashes aufmerksam, und Jörg Mollet begab sich unter dem Patronat der Unesco auf die Suche nach vorchristlichen Bilderzeugnissen in der lybischen Wüste. Mit Klodin Erb, die eine imaginäre Reise «zwischen Kapstadt und Nordkap» zu Gemälden verarbeitete, und Felix Brenner, der sich zeichnend auf psychedelische Reisen begibt, wird auch das Reisen im Kopf zum Thema. Diesen vielfältigen Reigen beschliesst eine wunderbare Werkpräsentation von Dadi Wirz, der als Sohn des bekannten Schweizer Ethnologen und Sammlers Paul Wirz sein ganzes Leben auf Reisen verbrachte und dies in seiner künstlerischen Arbeit veranschaulicht.