Reduziert, masslos, radikal – Polly Apfelbaums und Josef Herzogs Werke könnten auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein, finden jedoch in diesen drei Adjektiven einen gemeinsamen Nenner. Beide konzentrieren sich auf Farben, Linien und Flächen und bearbeiten diese in einer erstaunlichen Vielfalt. Gemeinsam ist Polly Apfelbaum und Josef Herzog der Fokus auf ein Thema, der spielerische Umgang mit Abstraktion und die überbordende Energie, die von ihrem Werk ausgeht.
Kunstmuseum Luzern | Polly Apfelbaum, Josef Herzog
- Publiziert am 8. März 2022
Eine New Yorkerin trifft auf einen gebürtigen Zuger: Die Begegnung ihrer Werkgruppen eröffnet einen interkontinentalen Dialog.
Die Arbeiten von Polly Apfelbaum (*1955, New York) sprengen den herkömmlichen Kunstbegriff. Sie sind kräftig, und zuweilen auch übermütig. In ihren Keramiken, Stoffarbeiten und Zeichnungen trifft Handwerk auf Kunst, Populäres auf Politisches, Feminismus auf Design. Ihre Objekte und Skulpturen möblieren den Raum, sie hängen an den Wänden und bedecken den Boden. Auf den Kanon der Kunstgeschichte nimmt Polly Apfelbaum keine Rücksicht, die Grenzen zwischen den Genres verwischt die Künstlerin souverän. Polly Apfelbaum bezeichnet ihre Werke als «radikal provisorisch». Dies trifft insbesondere für die Installation zu, die sie für den grössten Ausstellungssaal schafft: einen grossformatigen «Crazy Quilt». Bei der ‹verrückten› Version der typisch angelsächsische Patchworkdecke sind die Stoffteile unsystematisch und heterogen zusammengefügt. Die Künstlerin hat das textile Material aus Stoffläden ihrer Umgebung zusammengetragen und legt es als grossflächige Bodenarbeit aus, ohne die Stücke zusammenzunähen. 100 kleinteilige Keramiken sind durch die Lasur Pralinés zum Verwechseln ähnlich, so als könnten sie gleich vernascht werden. Die freundlichen «Barn Faces» (Scheunengesichter) entstehen in der Pandemie, als die Künstlerin sich aus der Grossstadt in ihr ländliches Atelier in einer Scheune zurückzieht. Die Gesichter leisten ihr in der Einsamkeit Gesellschaft.
Zu Beginn seiner Künstlerkarriere sind die Arbeiten von Josef Herzog (1939–1998, Zug) noch sichtlich vom Surrealismus geprägt, der ihn während seiner Zeit an der Kunstgewerbeschule Luzern beeinflusst. Später bricht der Künstler jedoch komplett mit der Figuration. Im Ateliergemeinschaft Ziegelrain in Aarau in den 1970er-Jahren entwickelt der begnadete Zeichner seine eigene Formensprache und wird zunehmend radikaler. Die Linie genügt von da an sich selbst und bezeichnet keinen Umriss mehr. Josef Herzogs ausufernde Zeichnungen muten organisch an und rufen vielfältige Assoziationen hervor, die aber niemals eingelöst werden: Netzwerke, Autobahnkreuze, Rorschachtests, wuchernde Geschwüre, auch Koordinatensysteme oder magnetische Felder. Der Nachlass des Künstlers umfasst mehrere tausend Arbeiten, die keine Titel haben. Die einzelnen Werke innerhalb einer Werkserie voneinander zu unterscheiden, fällt bei Josef Herzogs deshalb schwer und es ist einfacher von Werkgruppen zu sprechen. Die Repetition ist Josef Herzog ein wichtiges Gestaltungsmittel und niemals langweilig. Es ist gerade diese Poesie der Unübersichtlichkeit und des Grenzenlosen in Kombination mit einer extremen Reduktion auf das Wesentliche – die Linie, die Symmetrie –, die den Reiz von Josef Herzogs Kunst ausmacht.