Kunstschaffende des 21. Jahrhunderts nehmen den disruptiven Geist der Zwischenkriegszeit auf und überraschen mit neuen Arbeiten. Die 1920er-Jahre waren ein Jahrzehnt der Aufbrüche und Rückfälle. In keinem Moment des 20. Jahrhunderts war die Sehnsucht der Menschen nach Neuerungen so gross wie damals.
Kunsthaus Zürich | Schall und Rauch. Die wilden Zwanziger
- Publiziert am 27. Januar 2020
Das Kunsthaus Zürich setzt Bauhaus, Dada, die Neue Sachlichkeit sowie Design- und Architekturikonen des Modernismus in einen Dialog.
EXPERIMENTIERFREUDIGKEIT DER KÜNSTE
Es wurden urbanistische Visionen entworfen und Städte wuchsen in rasanter Geschwindigkeit. Klassische Rollenbilder in Gesellschaft und Ehe wurden hinterfragt und aufgebrochen, benachteiligte und unterdrückte Minderheiten verschafften sich Gehör in Politik und Kultur. An die Seite eines arbeitnehmergerechteren Alltags stellte sich eine wachsende Freizeitindustrie. Dieser hohe wirtschaftliche und soziale Innovationsgrad fand seinen direkten Niederschlag in der Experimentierfreudigkeit aller Künste.
RICHTUNGSWEISENDE IKONEN
Es entstanden Stile in Architektur und Design, die noch im 21. Jahrhundert richtungsweisend sind. Mit Fokus auf Berlin, Paris, Wien und Zürich berücksichtigt die Ausstellung alle in den 1920er-Jahren gängigen Medien wie Malerei, Skulptur, Zeichnung, Fotografie, Film und Collage, Mode und Design. Chanels «Kleines Schwarzes» wurde ebenso in dieser Zeit entworfen wie der berühmte, in Gemeinschaftsarbeit entstandene Clubsessel von Le Corbusier/Perriand/Jeanneret oder Margarete Schütte-Lihotzkys Frankfurter Küche. Auch Moholy-Nagys Begriff der Neuen Fotografie wurde in besagtem Jahrzehnt geboren. Allen diesen Schöpfungen ist gemein, dass sie 100 Jahre später immer noch modern, ja geradezu zeitgenössisch anmuten. Als Inspirationsquelle für viele Nachahmer und als Objekt der Begierde treiben sie die Sehnsucht der Design-Aficionados im 21. Jahrhundert an. Zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler, die sich explizit mit der Formensprache und den Inhalten der 1920er-Jahre befassen, schlagen eine Brücke in die Gegenwart.
80 KÜNSTLERINNEN UND KÜNSTLER
Kunsthaus-Kuratorin Cathérine Hug hat rund 80 Künstlerinnen und Künstlern der verschiedensten Kunstsparten für die Ausstellung ausgewählt, darunter Kader Attia, Josephine Baker, Marc Bauer, Constantin Brancusi, Coco Chanel, Le Corbusier mit Pierre Jeanneret und Charlotte Perriand, Otto Dix, Dodo, Laura Gerlach, Valeska Gert, Walter Gropius, George Grosz, Raphael Hefti, Hannah Höch, Karl Hubbuch, Johannes Itten, Rashid Johnson, Grete Jürgens, Wassily Kandinsky, Elisabeth Karlinsky, Friedrich Kiesler, Paul Klee, František Kupka, Fernand Léger, Jeanne Mammen, Fabian Marti, László Moholy-Nagy, Piet Mondrian, Alexandra Navratil, Gret Palucca, Trevor Paglen, Suzanne Perrottet und Rudolph von Laban, Francis Picabia, Man Ray, Hans Richter, Mies van der Rohe, Thomas Ruff, Christian Schad, Xanti Schawinsky, Kurt Schwitters, Shirana Shahbazi, Veronika Spierenburg, My Ullmann, Rita Vitorelli.
Die Besucherinnen und Besucher finden deren Werke nicht chronologisch oder nach Gattungen gruppiert, sondern sozio-kulturellen Themen zugeordnet, die für die «Goldenen Zwanziger» prägend waren – «Abschied vom Kriegstrauma», «Neue Rollenbilder», «Pluralistische Sehgewohnheiten» oder dem «Rausch der Bewegung». Die Pluralität der Ausdrucksmittel war ein Merkmal dieser aufreibenden Epoche. Auch heute, wo eine neo-liberale Politik ans Limit geht, wo disruptive Innovationen soziale und ethische Standards herausfordern, wo Künstler sich als Aktivisten positionieren und Kulturpessimisten Reaktionären in die Arme laufen, ist die Auseinandersetzung mit den 1920er-Jahren von hoher Aktualität. In einem Begleitprogramm greift das Kunsthaus deshalb nicht nur kreative Prozesse heraus, sondern stellt soziale und wirtschaftliche Fragen der Gegenwart zur Diskussion.
Die Ausstellung reist anschliessend ins Guggenheim Museum Bilbao.