Im Umfeld der 1968-Jahre entwickelte Gerry Schum (1938–1973) die Idee, dass Kunst nicht nur in Museen angeschaut und in Galerien gekauft werden sollte, sondern kostenlos zu allen Menschen nach Hause kommen könne – und zwar über das damals angesagteste Medium überhaupt: das Fernsehen. Seine heute legendäre ‹Fernsehgalerie› und Werke der daran anschliessenden Videogalerie sind nun in Winterthur wieder zu entdecken.
Kunst Museum Winterthur | Gerry Schum - Fernsehgalerie
Die aktuelle Ausstellung gibt einen Einblick in Schaffen und Philosophie des deutschen Videopioniers.
«Die Fernsehgalerie ist mehr oder minder eine geistige Institution, die nur im Augenblick der Ausstrahlung durch das Fernsehen Wirklichkeit wird. Das ist kein Ort, um greifbare Kunstobjekte zu zeigen, die man kaufen und nach Hause tragen kann. Eine unserer Ideen ist die Kommunikation von Kunst anstelle des Besitzes von Kunstobjekten.»
Gerry Schum
Die Fernsehgalerie
Im April 1969 strahlte der Sender Freies Berlin Gerry Schums erstes Projekt LAND ART aus. Diese «Fernsehausstellung» vereinte nicht nur Künstler wie Richard Long, Robert Smithson und Walter de Maria, sondern verlieh dieser neuen Kunstform ihren heute legendären Namen. Schums Ansatz, Kunst aus dem Kunstsystem herauszulösen und per Massenmedium direkt und kostenlos zum Publikum zu bringen, fand grossen Anklang bei einer jüngeren Künstlergeneration, die sowohl mit einem konzeptuellen Kunstverständnis experimentierte als auch die Stellung der Institution Museum in Frage stellte. In einer zweiten Sendung mit dem Titel IDENTIFICATIONS, die 1970 über den Äther ging, arbeitete Schum mit seinem Gespür für die neuesten Kunstentwicklungen abermals mit einer Reihe herausragender Künstler zusammen wie Joseph Beuys, Mario Merz, Daniel Buren, Gilbert & George, Richard Serra und Lawrence Weiner.
Ein Videopionier wird greifbar
In der Ausstellung im Kunst Museum Winterthur sind diese beiden wegweisenden Filme in voller Länge zu sehen. Dazu kommen zahlreiche weitere Videoeditionen, die Schum im Anschluss an die Ausstrahlungen der beiden «Fernsehausstellungen» produzierte. Weil die Sendeanstalten das Format nicht weiterführen wollten, begann Schum, seine Künstlerfreunde für Videoarbeiten zu engagieren. Diese vertrieb er bis zu seinem frühen Tod 1973 in seiner Düsseldorfer Videogalerie, die er mit seiner Ehefrau und Co-Produzentin Ursula Wevers gegründet hatte. Neben diesen Filmen und Videos werden in der Ausstellung zahlreiche Ephemera und Originaldokumente aus der Zeit präsentiert, die sich dank der Dauerleihgabe von Agnes und Frits Becht im Kunst Museum Winterthur befinden. Damit wird das in seiner Zeit visionäre Projekt des bedeutenden Videopioniers und Fernsehproduzenten auch für die Generation von heute wieder erlebbar.
Sammlung Agnes und Frits Becht
Das Kunst Museum Winterthur verfügt dank der Dauerleihgabe aus der Sammlung Agnes und Frits Becht über nahezu den gesamten Bestand von Gerry Schums Videoproduktion. Die Winterthurer Präsentation ist die erste Schweizer Museumsausstellung zu diesem visionären Projekt.