Experimentell, zutiefst spirituell und radikal humanistisch – Ana Lupas ist seit den 1960er-Jahren eine herausragende Figur in der Kunst Osteuropas. Mit Intimate Space – Open Gaze widmet ihr das Kunstmuseum Liechtenstein die bislang umfangreichste Einzelausstellung, die Arbeiten aus verschiedenen Schaffensperioden von den 1960er-Jahren bis heute zeigt. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf zwei Werkserien, die zum ersten Mal präsentiert werden: Eyes (1974–1991) und Self-Portrait (2000).
Kunst, entstanden in einem von Unfreiheit und Unterdrückung geprägten Umfeld
Das trifft auf das Werk von Ana Lupas (*1940) zu, die ihre rumänische Heimatstadt Cluj trotz allem nie verlassen hat.
Kurzbiografie der Künstlerin
Ana Lupas (*1940 in Cluj, Rumänien) studierte an der Academy of Plastic Arts Ioan Andreescu (heute: Art and Design University), Cluj. Sie initiierte und leitete das Avantgarde-Kollektiv Atelier 35, das von 1980 bis 1989 einen prägenden und nachhaltigen Einfluss auf die junge Generation rumänischer Künstler:innen ausübte. Lupas hielt bewusst Abstand vom Rampenlicht der Galerienszene und war immer eng mit ihrem Umfeld im ländlichen Raum verbunden. Ihr Werk wird international entdeckt und erfährt Anerkennung von renommierten Museen wie der Tate Modern London, dem Centre Pompidou Paris, dem Walker Art Center in Minneapolis oder dem Museion in Bozen. Sie lebt und arbeitet weiterhin in Cluj, wo sie in derselben Strasse wohnt, in der sie auch geboren wurde. Aktuell konzentriert sie sich auf die Konservierung ihrer Arbeiten sowie auf die Organisation ihres Archivs.
Die Ausstellung Ana Lupas. Intimate Space – Open Gaze wurde vom Kunstmuseum Liechtenstein in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin entwickelt und ist eine Koproduktion mit dem Stedelijk Museum Amsterdam (Ana Lupas – On This Side of the River Elbe, 9. Mai – 15. September 2024).
Eindrucksvolles Zeugnis von Resilienz
Ana Lupas’ Karriere, die sich über sechs Jahrzehnte erstreckt, legt eindrucksvoll Zeugnis ab von ihrer Resilienz und ihrem unerschütterlichen Engagement für die Kunst inmitten schwieriger politischer Umstände. Das über vier Jahrzehnte herrschende kommunistische Regime (1945–1989) vereinnahmte die Kunst für seine entmenschlichende totalitäre Ideologie, wodurch freies Experimentieren und Ausstellen massiv erschwert wurde. Ana Lupas ging dennoch unbeirrt und konsequent ihren eigenen Weg. Ihr frühes, experimentelles Werk umfasst Textilobjekte, Skulpturen, Environments, Installationen und Aktionskunst. Oft bedient sie sich dabei einfach zu beschaffender Materialien wie Korn, Wolle, Wachs oder Textilien und lässt sich von der Folklore und jahrhundertealten Traditionen inspirieren. Aus westeuropäischer Sicht sind Ähnlichkeiten zu den Avantgarde-Bewegungen des späten 20. Jahrhunderts, zur Konzeptkunst sowie zur Land Art erkennbar. Obwohl Ana Lupas immer wieder gezwungen war, im Verborgenen zu arbeiten, gelang es ihr, gross angelegte partizipative Projekte mit lokalen Bewohner:innen zu realisieren und die lokale Künstlercommunity zu fördern.
Verbindung von Kunst mit lokalen Ritualen
Neben der Produktion neuer Werke ist die Wiederaufnahme sowie die Überarbeitung bestehender Arbeiten ein zentrales Anliegen der Künstlerin. Sie ist bestrebt, sich selbst und ihr Schaffen zu hinterfragen, indem sie es immer wieder neu inszeniert. Das Motiv der zum Trocknen aufgehängten Tücher aus ihrer eindrucksvollen Humid Installation (erste Studien ab 1966, realisiert 1970 in Mărgău, Rumänien) greift Ana Lupas über mehrere Jahrzehnte hinweg immer wieder auf. Es verdeutlicht ihr leidenschaftliches Engagement für die Verbindung von Kunst mit lokalen Ritualen sowie mit Geschichte und Identität.
Klima der Überwachung
Die Ausstellung im Kunstmuseum Liechtenstein legt den Fokus auf zwei bislang unveröffentlichte Werkserien: Eyes (1974–1991) und Self-Portrait (2000). Die skulpturalen Porzellanaugen verweisen auf das Klima der Überwachung in der rumänischen Gesellschaft sowie in allen totalitären Regimen, sind aber auch losgelöst von diesem Kontext zu erfahren. In Vaduz lenken mehr als 20 Augen ihren Blick auf Werke aus der Sammlung des Kunstmuseums, die von Ana Lupas ausgewählt wurden. Letizia Ragaglia, Direktorin und Kuratorin der Ausstellung: «Diese höchst fragilen Plastiken wurden von der Künstlerin bislang sorgsam in ihrem Atelier in Cluj gehütet. Umso mehr freut es uns, dass wir als erste Institution die Werkgruppe der ‹Augen› im Kunstmuseum Liechtenstein der Öffentlichkeit präsentieren dürfen.» In der Serie Self-Portrait richten sich die Augen der Künstlerin selbst auf den Ausstellungsraum und das Publikum. Die Serie besteht aus 200 Plakaten, die 1998 zur Bewerbung ihrer Ausstellung in Székesfehérvár (Ungarn) entstanden sind und auf denen ein Siebdruck von Lupas’ Porträt zu sehen ist. Wie Tagebucheinträge bearbeitet und übermalt Lupas nachträglich fast täglich eines dieser Plakate. Die Selbstporträts zeigen nicht nur den anhaltenden und beinahe obsessiven Dialog der Künstlerin mit sich selbst, sondern auch ihren Willen, eine staatlich vorgegebene Standardisierung durch Individualität zu überwinden.