arttv.ch hat die Künstlerin, die im Kanton Uri geboren wurde und immer noch dort zurückgezogen lebt, besucht. Eine Begegnung mit einer faszinierenden Persönlichkeit, die sich von der Natur inspirieren lässt, aber nicht daran glaubt, dass man von der Muse geküsst wird. Zur Kunst, so erzählt sie, sei sie durch die vielen Kirchenbesuche gekommen, die sie als Kind absolvieren musste.
Künstler*innen Portrait | Maria Zgraggen
Maria Zgraggen wächst in Schattdorf, Uri, auf. 1978–1982 Kunstgewerbeschule Luzern (Anton Egloff). 1982 Übersiedlung nach Corsham, England. 1983 Fellowship an der Bath Academy of Fine Arts (Malfachklasse), 1983–1984 Chelsea School of Art in London (M.A.) und 1985 Fellowship an der Bath Academy of Fine Arts (Radierung). 1985, 1986 und 1990 Eidgenössisches Kunststipendium, 1986 Werkjahr der Kunst- und Kulturstiftung Heinrich Danioth. 1986–1987 Stipendiatin am Istituto Svizzero in Rom und 1991 Zuger Kulturstiftung Landis & Gyr, Zug, Werkjahr London. 1995 Rückkehr in die Schweiz, wo sie seither oberhalb von Bürglen (Uri) lebt und arbeitet. 2001 Atelierstipendium der Urner Kunst- und Kulturstiftung Heinrich Danioth, New York¸ und 2004‒2005 Zuger Kulturstiftung Landis & Gyr, Werkjahr Budapest. Maria Zgraggen erhält 2013 den Innerschweizer Kulturpreis. 2018 Atelier der visarte Schweiz in der Cité Internationale des arts, Paris.
Mystisch und archaisch
Maria Zgraggen setzt sich schon früh dem Spannungsfeld von «Welt» und «Heimat» aus und entflieht dem Vertrauten. Sie verlässt jenes Uri, das für Heinrich Danioth und den Arzt und Ethnografen Eduard Renner (Goldener Ring über Uri) erfüllt war vom magischen und animistischen Weltbild mit den drei Mächten, die das Leben der Bergler schicksalhaft bestimmen: Das Es als stete Bedrohung, der Ring als Bannform und der Frevel, der das Es zur zerstörerischen Gewalt fordert. Maria Zgraggen zehrt von dieser kulturellen Tradition, reichert sie aber mit Bildern und «Geschichten» des eigenen Erlebens an. Die heimatliche Enge tritt abrupt mit dem Fremden in einen Dialog. Zgraggens Werke handeln von Bedrängendem, von Tröstlichem und von Skurrilem. Mystisches und Archaisches fügen sich zu Bildern einer urtümlich anmutenden und gleichzeitig gegenwärtigen Welt. Die narrativen Bilder sind erfüllt von pulsierendem Leben. Wie aus einem chaotischen Urzustand entsteht allerorts neues Leben. Tier- und Menschenwesen metamorphosieren und verharren betrachtend in einer aufbrechenden Urwelt. […] Die flächen- und raumsprengenden Malereien setzen sich bis heute mit primären malerischen Problemen auseinander: Mit Form, Farbe, Linie und Raum, aber auch mit der Dramaturgie von Auftakt, Ereignisdichte und relativer «Leere».
Raumgreifende Installationen
Zu Zeichnung und Malerei gesellt sich mit der Zeit die dritte Dimension. Es entstehen kleine Wandobjekte sowie auf fünf Seiten dicht bemalte Holzklötze, bei denen die dicht gedrängte Malerei anders als bei Gemälden mit dem umgebenden Raum dialogisiert. Diese «Vexierspiele», die das optische Wahrnehmungsvermögen erheblich fordern, sind Grundlage für die zunehmende Auseinandersetzung mit dem realen Raum. Zgraggen schafft anlässlich von Ausstellungen in Luzern (2008), in Altdorf (2009), in Meggen (2012), in Sachseln (2014) und in Emmen (2016) ausgreifende Rauminstallationen: Gleichsam ins Dreidimensionale geweitete, begehbare Malereien mit allseits ausgreifenden Bildräumen, aber auch mit kantigen Flächen und abrupten Schranken. Folgerichtig entstehen autonome Skulpturen. Das skulpturale Ensemble aus drei, etwa fünf Meter hohen Elementen für das Schwerverkehrszentrum Uri korrespondiert unmittelbar mit der Landschaft. Die ovalen, mit spiralförmigen, bunten Farbstreifen akzentuierten Formen mit ihren Hohlräumen setzen vielfältige Assoziationen frei. Auch das monumentale Bildwerk im Skulpturenpark in Ennetbürgen setzt als in Skulptur umgesetzte Malerei in der Weite der Landschaft ein unübersehbares Zeichen. Auch bei den neueren Gemälden amalgamiert die Künstlerin motivisch Vertrautes mit Ungewöhnlichem, entzieht die Sujets ihrem Kontext und eröffnet geheimnisvolle Abgründe. Mit der ihr eigenen malerischen Freiheit voll expansiver Potenz vermittelt sie neue Seherfahrungen.
Text: Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft