Mit den Stahlskulpturen des bedeutenden Schweizer Eisenplastikers James Licini schlägt das Museum eine künstlerische Brücke zwischen seiner einzigartigen Ikonensammlung und der Abstraktion im zeitgenössischen Kunstschaffen.
Ikonenmuseum Burghalde Lenzburg | James Licini
- Publiziert am 2. Oktober 2020
Das Ikonenmuseum
Insgesamt 64 russische Ikonen von ausserordentlicher Qualität beherbergt das Museum Burghalde in Lenzburg in seiner altehrwürdigen Gewölbehalle. Die permanent geöffnete Sammlung bietet einen vertieften Einblick in die östliche Kirchenkunst des 17. Bis 19. Jahrhunderts und umfasst Christus-Bildnisse, verschiedene Darstellungstypen der Mutter Gottes, Heiligenikonen sowie Lebens- und Passionsdarstellungen. Ist die beeindruckende Sammlung an sich schon einen Besuch wert, ist das Kuratorium stets darum bemüht, die historische Welt der christlichen Ikone in einen spannungsvollen Dialog mit zeitgenössischen Thematiken zu setzen.
Faszinierender Diskurs und strenger Formenkanon
Vor diesem Hintergrund entfaltet die aktuelle Ausstellung mit den Werken des 1937 in Zürich geborenen Eisenplastikers James Licini einen faszinierenden Diskurs zwischen der ikonischen Tradition und den bildsprachlichen Grundlagen der Abstraktion des 20. Jahrhunderts. Folgen die russischen Ikonen einem strengen Kanon von Komposition und Motivik – und damit einem klaren bildsprachlichen Regelwerk – so zeigt sich im Werk Licinis ein gleiches Vorgehen: James Licini entwickelt seine skulpturalen Grundlagen aus dem Prinzip der Horizontalen und der Vertikalen. Aus dieser konstruktiven Voraussetzung ergibt sich ein ebenso strenger Formenkanon wie dies bei der Ikone der Fall ist. Im Gegensatz zur Tradition der Ikonen aber verzichtet Licini in seinen Arbeiten explizit auf jegliche inhaltliche Ladung. Vielmehr besteht seine primäre bildnerische Narration darin, mittels in Stahl realisierter plastischer Horizontal- und Vertikalkonstruktionen die Möglichkeiten des skulpturalen Körpers und seines Umraumes stringent, umfassend und konsequent auszuloten.
Skulpturale Auseinandersetzung mit der bildsprachlichen Tradition
Manifestiert sich Licinis skulpturale Erzählung vorerst in der Konfrontation des Betrachters mit der massiven Dichte und der Geometrie des archaischen Stahls, wird in der Folge die Transparenz und damit das «Dahinter» und das «Darüber-Hinaus» bei James Licini in den sich konstruktiv ergebenden Lichträumen sichtbar. Dieses Spannungsfeld wiederum lässt sich im aktuellen Ausstellungskontext als Parallele zu den utopischen Räumen lesen, die sich in der Ikone selbst aus dem für sie so charakteristischen Goldgrund ergeben. In kompositorischer Relation zu diesem Goldgrund, ergibt sich ein weiterer tiefgreifender Dialog mit den Stahlbauten des 83-jährigen Zürchers, der sich allerdings weit über die Thematik der traditionellen Ikone hinaus entwickelt: So hat sich Licini in den letzten Jahren intensiv mit dem Werk des russischen Künstlers Kasimir Malewitsch (1879 bis 1935) auseinandergesetzt, dessen berühmtes «schwarzes Quadrat» die eigentliche Negation der Russischen Ikone und damit in gewissem Sinne die Negation des Bildes an sich formuliert hat. Lässt Malewitsch, der in seiner suprematistischen Schaffensphase zugleich den Weg in die radikale Abstraktion geebnet hat, seine kulturgeschichtlich wirkungsmächtige Frage nach Bild und Raum unbeantwortet, gelingt hingegen Licini im künstlerischen Akt, «jene undurchdringliche und schwarze Membran, welche Malewitsch errichtet hat» (Licini) mittels seines skulpturalen Schaffens formal und physisch zu durchstossen. In der Konsequenz dieses Vorgehens gelangt James Licini zu einer sinnstiftenden und konstruktiven Antwort auf Malewitschs in ihrer kulturgeschichtlichen Anlage negativ formulierten Frage nach den Möglichkeiten des bildnerischen Schaffens «nach der Ikone», bzw. nach dem eigentlichen (Ab-)Bild. In Analogie zur Tradition der Ikone selbst bedient sich Licini hierzu einem in seinem Repertoire, nicht aber in seinen Modulationen begrenzten Material- und Formenkanon, um über eben diese gedanklichen und physikalischen Grenzen hinaus unendliche Räume zu erschaffen.