Die Kunstsammlungen Chemnitz schauen zurück und bringen damit erstaunliche, ja schmerzliche Parallelen zu heute ans Tageslicht: Corona, Energiekrise, Inflation, Populismus und ein Erstarken nationalistischer Tendenzen – so begannen die 2020er Jahre. Ein verheerender Weltkrieg, Spanische Grippe, Weltwirtschaftskrise, Nationalsozialismus – das waren die 1920er Jahre. Erahnen liess sich bereits die Gefährdung der Ideale des 20. Jahrhunderts. Und heute?
European Realities - Die Welt ist aus den Fugen
- Publiziert am 22. Dezember 2024
Aufgrund einer regen und viel beachteten Ausstellungstätigkeit mit Schwerpunkten auf der internationalen Moderne sowie wichtigen Themen- und Einzelpräsentationen, und auch aufgrund bedeutender Sammlungskonvolute, erfreuen sich die Kunstsammlungen Chemnitz eines internationalen Renommees. Hervorgegangen sind die Kunstsammlungen aus verschiedenen bürgerlichen Vereinen, wie dem 1860 gegründeten Kunstverein Kunsthütte zu Chemnitz. Im Jahr 1909 wurden sie unter dem Dach des König-Albert-Museums zusammengefasst und ab 1920 als städtisches Museum geführt. Heute umfassen die Kunstsammlungen Chemnitz einen Komplex verschiedener Museen und Institutionen: die Kunstsammlungen am Theaterplatz mit dem Carlfriedrich Claus-Archiv, das Museum Gunzenhauser, das Schlossbergmuseum mit der Burg Rabenstein und das Henry van de Velde Museum.
Wirklichkeitsbetonten Kunst
Die Ausstellung widmet sich erstmals den vielfältigen Realismusbewegungen, die in den 1920er und 1930er Jahren nahezu überall in Europa sichtbar sind. Sie erzählt dabei von Armut und Elend, berichtet über den wirtschaftlichen Aufschwung und von kultureller Blüte, von wissenschaftlichem und technischem Fortschritt, von Grossstadt und Nachtleben, Emanzipation und Diversität. Noch nie zuvor ist diese Kunstepoche in einem solchen Umfang präsentiert worden, wie es das nun die Kunstsammlungen Chemnitz im Rahmen von Chemnitz als Kulturhauptstadt Europas 2025 machen. Eine aus den Fugen geratene Welt fand 1920 damals ihren künstlerischen Ausdruck in einer wirklichkeitsbetonten Kunst. Die existentiellen Ängste vor Armut, Hunger, Krankheit und sozialem Abstieg wurden darin deutlich. Erahnen liess sich bereits die Gefährdung der Ideale des 20. Jahrhunderts, wie etwa dem des Fortschrittsglaubes. Die Ausstellung verbindet die damaligen Themen mit unserer heutigen gesellschaftspolitischen Gegenwart und stellt damit die Frage nach neuen Zukunftsvorstellungen.
Präsentation der Neuen Sachlichkeit
Die Ausstellung schliesst Künstler:innen aus nord-, mittel-, südost-, süd- und westeuropäischen Ländern ein und präsentiert die künstlerischen Netzwerke über die Ländergrenzen hinaus. Sie knüpft dabei an Gustav Friedrich Hartlaubs namensgebende Präsentation der Neuen Sachlichkeit von 1925 an, welche nach Mannheim und Dresden in den heutigen Kunstsammlungen am Theaterplatz in Chemnitz Station machte. European Realities verbindet die lokale Tradition mit gesamteuropäischen realistischen Tendenzen. Der Realismus der 1920er und 1930er Jahre hat nicht nur viele Namen wie etwa Nuovo Realismo, Realismo mágico, Pittura metafisica, Novecento, Neue Sachlichkeit, Neoklassizismus, Magischer Realismus, Neorealisme, Nové realismy u.v.m. seine Wurzeln in verschiedenen Ländern und er besitzt viele Gesichter. Dabei zeigt die Ausstellung mit ca. 300 Werken aus 20 Ländern nicht nur ein europäisches Panorama, sondern auch, wie sich durch Transfer und Migration von Ideen künstlerische Ansätze verbreiten und weiterentwickeln.