Seit den ersten öffentlichen Präsentationen der Anthropometrien − jener Abdrücke von Körpern, die mit Farbe getränkt und anschliessend auf die Leinwand aufgetragen wurden − wurde Kleins Arbeit mit Felsbildern in Verbindung gebracht: Geht das Anfertigen eines farbigen Abdrucks, z. B. einer Hand, nicht bis in die graue Vorzeit zurück? Die führende Plattform für Aborigine-Kunst in Europa nimmt diese Frage wie auch das Werk von Yves Klein in ihrer neuen Ausstellung auf.
Die Fondation Opale zeigt, was Aborigine-Kunst mit Yves Klein gemeinsam hat
Eine Annäherung des bedeutenden französischen Künstlers an seine «Seelenverwandten» vom anderen Ende der Welt.
Die 2018 im Dorf Lens/VS eröffnete Fondation Opale ist europaweit das einzige, der Aborigine-Kunst gewidmete Zentrum für zeitgenössische Kunst. Die Stiftung engagiert sich für die Förderung des Dialogs zwischen Völkern und Kulturen über das Medium der Kunst und stützt sich auf die Sammlung Bérengère Primat, die mit mehr als 1’300 Werken von fast 350 Künstler:innen eine der wichtigsten Sammlungen zeitgenössischer Aborigine-Kunst in Privatbesitz darstellt.
In der Ausstellung sind Werke von Angkaliya Curtis, Bardayal «Lofty» Nadjamerrek, Bill Whiskey Tjapaltjarri, Danie Mellor, Dhambit Mununggurr, Yves Klein, Emily Kame Kngwarreye, Ignatia Djanghara, Paddy Bedford, Waigan Djanghara, Wattie Karruwara, Judy Watson und Paji Honeychild Yankarr zu sehen.
Eine geistige Verbindung
Der Titel der Ausstellung ist einem Aphorismus von Fernando Pessoa entlehnt, der in den Schriften von Yves Klein zitiert wird («Ich habe entdeckt, dass das Lesen eine untergeordnete Art des Träumens ist. Wenn ich träumen muss: warum eigentlich die Träume der anderen?»). Aber natürlich erinnert er auch an den faszinierenden und geheimnisvollen «Traum» (Dreaming), die geistige Grundlage der ältesten lebenden Kultur der Erde, der Ureinwohner Australiens. Allerdings scheint es, als hätte die Begeisterung für die Vorgeschichte Klein von den sogenannten frühen Künsten weggeführt: In seinem Werk gibt es keinen Hinweis auf Afrika oder Ozeanien, mit Ausnahme einiger schamanistisch anmutender Zeichnungen aus seiner Jugend, die in den Yves-Klein- Archiven in Paris aufbewahrt werden, und mit denen die Historiker bislang nicht viel anzufangen wussten. Erst vor Kurzem wurden sie nach sorgfältiger Prüfung als Reproduktionen von Werken der australischen Ureinwohner angesehen, die wahrscheinlich aus der Mitte der 1950er-Jahre stammten, als die Kultur der Ureinwohner Australiens in Europa kaum bekannt war
und sogar abschätzig behandelt wurde. Ausgehend von diesem neuen Verständnis möchte die Ausstellung «Rêver dans le rêve des autres» einen merklichen, poetischen Weg zu dieser ursprünglichen geistigen Verbindung öffnen, die nur von Künstlern sichtbar gemacht werden kann.
Ulay in der Fondation Opale
Parallel zur Hauptausstellung wird im Raum Special Focus des Kunstzentrums in Lens eine Ausstellung der Reihe Aboriginal Afterimages des deutschen Performance-Künstlers Ulay zu sehen sein. Diese «Nachbilder» entstanden aus seiner Zusammenarbeit mit den Stämmen der Ureinwohner und hielten fest, was nach dem Abzug der Nomaden am Ende einer rituellen Zeremonie zurückbleibt.