Kunstschaffende beleuchten mit ihren Werken den politischen und völkerrechtlichen Grundsatz der Neutralität. Schnell wird klar: Das Verständnis von Neutralität in der Schweiz ist so vielfältig wie unsere Gesellschaft selbst. Umso mehr brauchen wir die Kunst, um die Komplexität des Lebens sichtbar zu machen.
Dem «Modell Neutralität» auf der Spur
- Publiziert am 17. Januar 2025
14 zeitgenössische Kunstschaffende hinterfragen im Aargauer Kunsthaus eines der höchsten Schweizer Güter: die Neutralität.
Kunstschaffende
Caroline Bachmann (*1963), Marc Bauer (*1976), Denise Bertschi (*1983), Mîrkan Deniz (*1990), Guerreiro do Divino Amor (*1983), huber.huber (Markus Huber, *1975; Reto Huber, *1975), Thomas Hirschhorn (*1957), Gabriela Löffel (*1972), Aleksandra Mir (*1967), Kim da Motta (*2000), Guido Nussbaum (*1948), Davide-Christelle Sanvee (*1993), Felix Stöckle (*1994)
Neutralität unter Druck
Mit dieser Ausstellung widmet sich das Aargauer Kunsthaus erneut einer aktuellen Frage unserer Zeit und wirft gleichzeitig den Blick auf ein spezifisch schweizerisches Thema, das eng mit der Konstruktion eines nationalen Selbstverständnisses verbunden ist. Die völkerrechtliche Neutralität inmitten Europas liess die Schweiz zu einer unparteiischen Ansprechpartnerin in Krisen sowie zu einem Standort von internationalen Organisationen und sensiblen Transaktionen werden. Die historisch und politisch ausgesprochen konsensorientierte Schweiz sieht sich jedoch in einer Welt, die sich mehr und mehr destabilisiert und mit Konflikten konfrontiert ist, zunehmend gezwungen, Position zu beziehen. Entsprechend intensiv wird das Modell Neutralität derzeit aus völkerrechtlicher, historischer, politischer und auch ethischer Sicht diskutiert.
Unsicherheitsbewältigung
Kunstschaffende kennen sich aus mit Unsicherheiten. Es gelingt ihnen, neue Perspektiven zu eröffnen, indem sie alte Gewissheiten in Zweifel ziehen. So gestalten sie Werke, die das Thema Neutralität direkt oder indirekt behandeln und tragen damit zur gesellschaftlichen Debatte bei. Auch Museen wie das Aargauer Kunsthaus waren nie neutrale Orte – ebenso wenig wie es Bibliotheken, Bildungs- und Erinnerungsinstitutionen je waren. Angesichts des wachsenden Bewusstseins für die Diversität unserer Gesellschaft stellen sich dem Aargauer Kunsthaus vermehrt Fragen zur Sammlungspolitik und der damit verbundenen (Kunst-)Geschichtsschreibung. Jenseits des Kunstkontexts dient auch die Sprache als Ort, an dem Neutralität verhandelt wird. Dominante Lesarten sind zwar demokratisch mehrheitsfähig; ihre vermeintliche Eindeutigkeit nährt jedoch die Vorstellung, es gäbe nur eine Art und Weise, die Welt zu erklären. Diesem Trugschluss setzt gerade die Kunst seit dem 20. Jahrhundert ihr
Spiel mit neuen Zeichensystemen und Vermittlungsmedien entgegen.
Neutralität als Handlungsfeld
Die verschiedenen Blickwinkel dieser Ausstellung können sowohl beim Publikum als auch innerhalb des Museumsbetriebs anregen, Neutralität nicht nur als Machwerk der Geschichte wahrzunehmen, sondern auch als eigenes Handlungsfeld zu entdecken. Im besten Fall fördert die ausgestellte Kunst das Verständnis dafür, dass sich die Neutralität als Teil der Schweizer Kultur permanent verändert – so wie es auch unsere Gesellschaft ständig tut. Modell Neutralität lädt dazu ein, über unsere eigene Positionierung und unser Miteinander nachzudenken.
(Textgrundlage: Aargauer Kunsthaus)