Bis heute beflügelt die Zirkuswelt die Fantasie der Menschen, auch wenn sie manchen wie ein Relikt aus vergangener Zeit vorkommen mag. Das Kunstmuseum Thun präsentiert Werke internationaler Künster:innen, die sich dem Motiv des Zirkus’ bedienen. Vor dem Hintergrund untersucht die Gruppenausstellung «Not My Circus, Not My Monkeys» mit einer Beteiligung von 22 Kunstschaffenden aktuelle gesellschaftliche Themen und hinterfragt politische Strukturen.
Das Kunstmuseum Thun widmet sich dem Zirkusmotiv in der zeitgenössischen Kunst
Es ist eine Kosmos voller Metaphern für das Leben, den Menschen, die Umwelt und die Kunst selbst.
Das Kunstmuseum Thun präsentiert in jährlich vier bis fünf Wechselausstellungen vorwiegend zeitgenössische Kunst. Neben thematisch und monografisch ausgerichteten Sonderausstellungen wird pro Jahr eine Sammlungsausstellung eingerichtet, die einen Teil der reichen Bestände unter einem besonderen Blickwinkel präsentiert. Die Kunstvermittlung hat im Museum ihren festen Platz: Generationenübergreifend unterstützt sie ein breites Angebot bei der Entzifferung der Sprache der Kunst und lässt Raum für eigene Deutungen. Das Kunstmuseum Thun feiert 2023 sein 75-jähriges Bestehen.
Zirkus als kreative Steilvorlage
Der Ursprung des Zirkus lässt sich auf das Ende des 18. Jahrhunderts zurückdatieren, wobei er damals noch in festen Gebäuden und vorwiegend in London zu finden war. Im 19. Jahrhundert waren Zirkusse als Massenphänomen im europäischen Grossstadtleben verankert. Zu den Besucher:innen gehörten Vertreter:innen verschiedener Künste wie Literatur, bildende Kunst, Musik oder Film. So wirkten Zirkusmotive etwa in die naturalistische Malerei, die Neue Sachlichkeit, die Avantgarde oder in den Expressionismus hinein. Heute mag der Ort der sinnlichen Erlebnisse und Extreme wie ein Relikt aus vergangener Zeit erscheinen. Und trotzdem bedienen sich zeitgenössische Künstler:innen noch immer des Repertoires der zirzensischen Formensprache. Sie nutzen das Motiv des Zirkus‘, um aufzuzeigen, dass dieser mit seiner Geschichte, seinem Repertoire und seiner Popularität bis heute nicht an Aktualität verloren hat. Der Zirkus bietet auf der Mikro- wie auch der Makroebene eine Steilvorlage, um aktuelle gesellschaftliche Konflikte vorzuführen, Stigmatisierung zu entlarven, Machtstrukturen zu hinterfragen oder das Mensch-Tier-Verhältnis zu beleuchten.
Clowneskes Intermezzo
Ob lustig, traurig, herausfordernd, nachdenklich oder naiv – der Clown findet sich in zahlreichen künstlerischen Arbeiten. Unter anderem in der skurrilen und farbigen Welt von Beni Bischof aus St. Gallen. In Form einer interaktiven Skulptur lässt der Künstler die Zuschauer:innen zu Gipsklumpen erstarren und übt damit Kritik an der wachsenden Unterhaltungskultur. Der Zürcher Künstler Istvan Balogh wiederum thematisiert die Überstimulation in der heutigen Gesellschaft und zeigt den Clown dabei als Opfer. Eine melancholische Stimmung evozieren die oft apathisch gestimmten Clowns des in New York lebenden Schwyzer Künstlers Ugo Rondinone, deren Schuhe sprichwörtlich an den Nagel gehängt werden. Die US Künstlerin Kathryn Andrews wiederum lässt das Clownkostüm als melancholischer Schleier zurück, während die schwedische Künstlerin Miriam Bäckström eben jenes Kostüm aufgreift, um Fragen nach Authentizität und Identitätsstiftung zu stellen.
Tiere in der Arena
In der (Raub-)Tierhaltung zeigt sich das menschliche Bedürfnis nach Kontrolle und Ordnung besonders deutlich. Der jurassische Künstler Agustin Rebetez stellt das Machtverhältnis zwischen Bändiger und Gebändigtem auf brachiale Art und Weise auf den Kopf. Bei Yves Netzhammer aus Zürich steht der Affe als menschenverwandtes Wesen im Zentrum, das uns in unserer Überheblichkeit widerspiegelt. Den/die Zirkusdirektor:in besiegt haben die Tierfiguren von Nicola Hicks aus London. Sie eigenen sich urbane, weggeworfene Gegenstände an, um darauf zu balancieren und damit sowohl auf die Verwüstung des Planeten als auch auf eine hoffnungsvolle Unbändigkeit und Beständigkeit der Natur hinzuweisen. Eine versöhnliche Geste lässt sich schliesslich in den Wandprojektionen der in Zürich lebenden Künstlerin Zilla Leutenegger erahnen: Sie verweist auf die kindliche Fantasie, in der sich Tier und Mensch auf Augenhöhe gegenübertreten können.
Die Kunstwelt als Zirkus
Auch die Kunstwelt selbst wird in der Ausstellung metaphorisch mit dem Zirkus verknüpft: So bieten unter anderem die Collagen von Barbara Breitenfellner aus Berlin Einblicke in traumhafte Zustände, in denen der Zirkus stets mit hineinspielt. In ihrer langjährigen Auseinandersetzung überführt die Künstlerin das Zirkusmotiv immer wieder in die Welt der Kunst und entlarvt die Kunstwelt gar selbst als Zirkus. In der Videoarbeit von Taus Makhacheva balanciert ein Seiltänzer in schwindelerregender Höhe und transportiert dabei Kunstwerke von einem Hochlandgipfel zum anderen. Der Protagonist selbst stammt aus Dagestan und damit aus einem Ort, der als Ursprung des Seiltanzes gilt und aus dem viele Zirkusartist:innen stammen. Mit dem Akt der Neuordnung hinterfragt die russische Künstlerin wortwörtlich die lineare Geschichtsschreibung. Metaphorisch steht der Balanceakt aber auch für die Geschichte einer Gegend, die dem Spannungsfeld zwischen Moderne und Tradition, Repräsentation und Unsichtbarkeit unterliegt.
(Textgrundlage: Kunstmuseum Thun)